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Befreit eure Schätze! Open Source in der öffentlichen Verwaltung

Befreit eure Schätze! Open Source in der öffentlichen Verwaltung

Gastbeitrag von , und

Ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe befindet sich hier: Blogreihe Open Source

Isabell konzipiert seit über 10 Jahren digitale Lösungen, die die Nutzer:innen im Fokus haben und arbeitet seit 2018 für Dataport im Innovationsbereich. Aktuell ist sie PO (Product Owner) von KERN und setzt mit Hilfe ihres großartigen Teams die Produktvision eines länderübergreifenden, communitybasierten Design Systems und UX-Standards für die deutsche Verwaltung um. Ganz besonders freut sie sich über die Kooperation mit KoliBri und den gemeinsamen Open Source-Ansatz, sowie die Anbahnung von weiteren Partnerschaften mit ähnlichen Initiativen von Bundes- bis Kommunalebene.

Robin ist Projektleiter bei der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein. Als Verwaltungsquereinsteiger ist ihm besonders wichtig, die Perspektive der Nutzer:innen konsequent bei allen Projekten mitzudenken. Mit dieser Sicht hat er auch das Projekt KERN auf den Weg gebracht und leitet es nun als Vertreter des Landes. Für Robin ist die Offenheit des Projektes entscheidend: Jede:r, der/die Interesse an dem Thema hat, ist willkommen!

Christian konzipiert und plant seit über 15 Jahren digitale Lösungen und baut dafür die Brücke zwischen Geschäftsinteressen und Nutzer:innenbedürfnissen. Bei KERN wirkt Christian erst als Communitymanagement Lead und jetzt als Projektleiter daran mit, einen UX-Standard für die deutsche Verwaltung zu etablieren, den eine aktive Community »von unten« trägt und den Entscheider:innen »von oben« ermöglichen. Die Verbreitung dieser Idee mittels Öffentlichkeitsarbeit und Kooperationen ist sein Steckenpferd.

Da war dieses tolle Projekt da draußen: ein engagiertes Team beim ITZBund (der IT-Dienstleister des Bundes) hat in den letzten Jahren die barrierefreie Komponenten-Bibliothek KoliBri entwickelt. Die Ergebnisse wären eine perfekte Grundlage für den im Projekt KERN zu schaffenden UX-Standard für die öffentliche Verwaltung. Die Bausteine ergänzten sich optimal und es hätten riesige Synergieeffekte erschlossen werden können. Leider stand KoliBri zum damaligen Zeitpunkt noch nicht als Open-Source-Software (OSS) bereit, sodass zunächst ungewiss war, ob wir die Bibliothek als Grundlage für unser KERN-Projekt nutzen können.

Was wir dann gemacht haben und wie über das »Open Sourcing« (das Veröffentlichen und Zur-Verfügung-Stellen von Arbeitsergebnissen) die Grundlage für vertrauensvolle und effiziente Kooperation zwischen staatlichen Akteuren gelegt werden kann, möchten wir hier beschreiben.

Open-Source-Software in der öffentlichen Verwaltung

Die Bereitstellung von Lösungen als Open Source, welche in der öffentlichen Verwaltung entwickelt wurde, befindet sich noch am Anfang. Immer mehr Institutionen aber experimentieren mit dem Konstrukt und ändern damit, wie Kooperationen zwischen verschiedenen staatlichen Organisationen eingegangen und gepflegt werden können.

Das Land Schleswig-Holstein, beispielsweise, hat mit seiner Open-Source-Strategie eine wichtige Leitplanke für OSS erlassen. Zentrale Produkte wie das Transparenzportal, die OZG-Cloud, das Bürgerportal und jetzt auch KERN sind unter OSS-Lizenz veröffentlicht. Das Land macht sich auch auf Bundesebene dafür stark, dass die Nutzung von OSS sowie offenen Standards sich künftig auch im Bereich der Auftragsvergabe durch die Länder niederschlagen soll.

Bislang tut sich die öffentliche Verwaltung einerseits schwer damit, OSS in ihren Verträgen zu verankern. »Auf Bundesebene gibt es bisher keine vergleichbare gesetzliche Regelung« kritisiert z.B. die Open Source Business Alliance und legt dazu ein Rechtsgutachten vor, in dem sie schreibt, dass „eine vorrangige Beschaffung von Open Source vor proprietärer Software gesetzlich verankert werden könnte“. Andererseits wird im aktuellen Koalitionsvertrag mehr Open Source eingefordert, jedoch liegen dazu noch keine Gesetzesinitiativen vor. Nichtsdestotrotz sind erste Voraussetzungen geschaffen worden, etwa die Schaffung der Zusammenarbeitsplattform »OpenCoDE« für OSS-Projekte der öffentlichen Hand.

KERN und KoliBri – eine offene Beziehung

Mit dem Projekt KERN entwickeln wir gerade einen offenen UX-Standard für die deutsche Verwaltung. Er soll kommenden Softwareentwicklungsteams dazu dienen, Online-Dienste, Websites und perspektivisch auch Fachanwendungen effizient zu erstellen und die Ergebnisse für Endanwender:innen effektiv, effizient und zufriedenstellend nutzbar zu machen. Uns war in dem Projekt von Anfang an wichtig, Vorhandenes zu integrieren und darauf aufzubauen wo immer es geht. »Weiterentwickeln statt Neubauen« haben wir deshalb schnell als Kern-Wert in unserem Projekt-Manifest verankert. Wir selbst haben das Thema OSS umfassend und strategisch im Projektaufbau verankert und damit sichergestellt, dass wir so transparent, offen und partizipativ sein können, wie wir es uns auch von anderen Akteuren wünschen.

Alle Projektergebnisse werden unter einer EUPL-Lizenz veröffentlicht, der OSS-Lizenz der Europäischen Union. Als Ort, an dem wir »stattfinden möchten« haben wir deshalb auch OpenCoDE gewählt, die gemeinsame Plattform der öffentlichen Verwaltung für den Austausch von OSS. Durch Veröffentlichung von Quellcodes an einem zentralen Ort soll »die Wiederverwendung und gemeinsame Arbeit an Softwarelösungen der Öffentlichen Verwaltung zwischen Verwaltung, Industrie und Gesellschaft gefördert werden.« Über das integrierte Ticketsystem organisieren wir die Zusammenarbeit und Arbeitsteilung im Projektteam, aber auch Teile der Kommunikation mit der Community außerhalb des Projekts.

Schon lange im Vorfeld waren wir auch auf die Kolleg:innen vom ITZBund und ihre Komponentenbibliothek KoliBri gestoßen und haben gemeinsam die großen Schnittmengen und potentiellen Kooperationsfelder entdeckt.

KoliBri wird Open Source

KoliBri wurde 2021 als internes Projekt im ITZBund gestartet. Bereits vor Projektstart wurde die Open-Source-Stellung als ein Projektziel definiert. Durch die vielen externen Anfragen, u. a. durch das Projekt KERN, zur Nutzung von KoliBri wurde den Bestrebungen nach Open Sourcing Rückenwind verliehen. So wurde KoliBri im Oktober 2022 als OSS zur Verfügung gestellt und auf der Plattform GitHub veröffentlicht (OpenCoDE war damals noch nicht live, heute findet man dort eine/n Spiegelkopie/Mirror von KoliBri). Damit ist KoliBri nun für alle sichtbar und nutzbar.

Seitdem funktioniert die Zusammenarbeit zwischen KERN und KoliBri »wie geschmiert«. Der KoliBri-Programmcode ist fester Bestandteil des KERN-Projekts geworden und das KoliBri-Team z.B. in Projektreviews gern gesehener und geschätzter Projektpartner. So kommen wir ins Gespräch über den optimalen Prozess des Releasemanagements, das gemeinsame Weiterentwickeln von Bestandteilen (i.S.v. Arbeitsteilung) oder auch die Involvierung der sich gegenseitig ergänzenden Projekte bei Initiativen, die erstmal nur eine Seite angesprochen haben. Ein aktuelles Beispiel ist die Einbindung von KERN als Kooperationsinitiative bei der Schaffung einer digitalen Dachmarke Deutschland für die öffentliche Hand (Bund, Länder & Kommunen) durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat und das Deutsches Presseamt.

Vorteile von Open Source in Kooperationsprojekten

Für uns sind die Vorteile der Open-Source-Prinzipien für die öffentliche Verwaltung offenkundig: Open-Source-Projekte ermutigen zur Zusammenarbeit und gemeinsamen Entwicklung von Produkten und Projektergebnissen. Ressourcen können geteilt und Arbeitszeit von Teammitgliedern ganz verschiedener Projekte auf gleiche Ziele ausgerichtet werden.

Open-Source-Software ist für alle frei verfügbar – jede:r kann den Quellcode einsehen, verwenden, modifizieren und verteilen. Das bringt riesige Vorteile, wenn verschiedene Organisationen an ähnlichen Themen arbeiten, wie es jetzt im Kontext des OZG der Fall ist. Auch die Zivilgesellschaft kann viel besser in Open-Source-Vorhaben integriert und involviert werden, weil sie einfach sichtbar sind.

Zur Sichtbarkeit auf einer Plattform wie OpenCoDE oder GitHub gehört auch, dass andere Mitglieder Nachfragen stellen, Verbesserungsvorschläge einbringen, den Code für sich weiterentwickeln und später zur Einbindung in das Original (»merge request«) anbieten können. Wird dieses Angebot vom Maintainer einer OSS angenommen, kann die OSS durch andere verbessert oder erweitert werden. Nimmt der Maintainer es nicht an, kann der veränderte Quellcode immer noch als sogenannte Abspaltung (engl. »fork«) veröffentlicht werden. Abspaltungen können u.U. auch später noch mit der Hauptversion wiedervereint werden. Ein Beispiel für die Entstehung einer Vielfalt an z.T. sehr spezialisierten oder auf andere Systemarchitekturen portierte Versionen aus einer Hauptversion ist das (nicht offene) Betriebssystem UNIX (hier eine grafische Darstellung der Beziehungen). Mit Free-/Open-BSD und LINUX sind zwei freie Vertreter von UNIX-ähnlichen Varianten sehr erfolgreich geworden. Ein aktuelles Beispiel im Bereich der freien OSS ist die Software OwnCloud mit der Abspaltung Nextcloud – u.a. auch in den Open-Source-Arbeitsplatzlösungen dPhoenixSuite (von Dataport) und OpenDesk – der souveräne Arbeitsplatz (federführend: das BMI) eingesetzt.

Fazit

Wenn die öffentliche Verwaltung das Thema »Public Money Public Code!« wirklich ernst nimmt, in der Entwicklung im Offenen arbeitet und andere unter die Motorhaube schauen lässt (»working in the open«: eins der Prinzipien bei der Arbeit am Design System von GOV.uk, Prinzip »Open Source« im OZG Service Standard für die Entwicklung digitaler Verwaltungsservices), dann Produkte konsequent als Open-Source-Software bereitstellt und in Vergabeprozessen strategisch einfordert, böte das enorme Chancen.

Wir wünschen uns für den Auf- und Ausbau von KERN weitere Partnerschaften, die die Open-Source--Prinzipien teilen und leben: Transparenz, Kollaboration, Nachnutzbarkeit, Community. Die Zusammenarbeit mit dem ITZBund und anderen zeigt, wie diese Prinzipien die Grundlagen für eine vertrauensvolle Kooperation schaffen konnten und beide Seiten durch die Verbesserung ihres jeweiligen Produkts profitieren: 1+1=3 durch Open Sourcing!

Kontaktmöglichkeit
Projektleiter Christian Graf (für Organisatorisches) und Product Owner Isabell Pietta (für Inhaltliches):
  kern-design-system@dataport.de

Homepage des Projekts:
www.kern-design-system.de

Weiterführendes von ÖFIT:

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Die Kurzstudie trägt aus Literatur und Expert:inneninterviews organisationale Hürden und mögliche Maßnahmen für die Barrierefreiheit digitaler Verwaltungsangebote zusammen. Denn auch nach zwanzig Jahren gesetzlicher Vorschriften zur Barrierefreiheit in der Informationstechnik ist die Umsetzung trotz großer Fortschritte weiterhin lückenhaft. Hürden sind fehlendes Wissen zur Umsetzung, niedrige Priorisierung im Verwaltungsalltag sowie unklare und kaum konsequent durchgesetzte Regeln. Zur besseren Umsetzung sollten Kompetenzen aufgebaut, Bewusstsein geschaffen, Regeln durchgesetzt und Ressourcen bereitgestellt werden.


Veröffentlicht: 11.10.2023