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DNA-Speicher

DNA-Speicher

Mär 2022

DNA-Moleküle enthalten die Baupläne für die Lebewesen dieser Welt. Die Natur bedient sich mit der DNA an einem hocheffizienten und langlebigen Medium, um Erbinformationen zu speichern. Die Informationsdichte ist dabei außerordentlich hoch: theoretisch lassen sich 1 Million Terabyte Daten in einem Kubikmillimeter DNA speichern. Bei global wachsenden Datenmengen werden Überlegungen angestellt, diese Eigenschaft auch in der IT zu nutzen. Synthetische DNA verspricht dabei, ein ressourcenschonendes und platzsparendes Speichermedium zu werden. Werden unsere Familienfotos also bald auf künstlicher DNA gespeichert? 

Musik im Reagenzglas

DNA-Moleküle speichern Informationen durch eine Abfolge der vier organischen Basen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin (abgekürzt mit A, T, G und C). Der Weg von bspw. einer digitalen Musikdatei zum fertigen künstlichen DNA-Speicher ist jedoch lang. Es muss eine komplexe Abfolge von Fertigungsschritten durchlaufen werden, beginnend mit der Codierung der Musikdatei von einer binären Sequenz aus Nullen und Einsen zu einer Darstellung, die mit den Basen A, T, G und C arbeitet. Anschließend werden durch spezialisierte chemische Syntheseprozesse anhand der berechneten Basenabfolge DNA-Moleküle hergestellt, welche dann nur noch geeignet gelagert werden müssen. Der Weg zurück von DNA-Speicher zu Datei umfasst die Sequenzierung und Dekodierung der künstlichen DNA-Moleküle. Der DNA-Speicher wird aus der Lagerung genommen und die darin enthaltenen DNA-Moleküle vervielfältigt und ausgelesen. Hierbei kommt die PCR-Technologie zum Einsatz, welche ihre klassischen Anwendungsfelder in der Medizin, Forschung und Forensik findet. Nachdem die Basenabfolge zurück in eine binäre Sequenz dekodiert wurde, lässt sich die Musikdatei wieder auf einem Computer abspielen.

Während die Codierungs- und Dekodierungsschritte digital stattfinden, sind für Synthese und Sequenzierung spezialisierte maschinelle Prozesse notwendig. Bei der Synthese werden die DNA-Moleküle hergestellt, indem Base für Base aneinandergesetzt wird. Allerdings wird ständig an neueren und effizienteren Mechanismen geforscht, bei denen u. a. enzymbasierte Methoden zum Einsatz kommen. Für die Sequenzierung werden DNA-Moleküle entweder exakt nachgebaut, wobei die Basenabfolge ausgelesen wird, oder durch Nanomembranen mit angelegter elektrischer Spannung gezwängt, sodass die einzelnen Basen durch ihre elektrische Signatur identifiziert werden können. So können digital gespeicherte Daten in DNA-Moleküle transkribiert und zurückübersetzt werden.

Durch geschickte Codierung ist es außerdem möglich, Daten in einem DNA-Molekül zu strukturieren und die selektive Auslesung einer „DNA-Festplatte“ zu ermöglichen. Dazu werden spezielle Basensequenzen, sog. Primer, in die DNA-Sequenz eingebettet. Diese markieren Abschnitte im DNA-Speicher, sodass im Sequenzierungsschritt bspw. nur ein einzelner Song eines Musikalbums ausgelesen werden kann. Weiterhin werden Fehlerkorrekturcodes in die DNA-Daten eingearbeitet, sodass es auch bei signifikanter Beschädigung eines DNA-Moleküls möglich wird, die ursprünglichen Daten fehlerfrei wiederherzustellen.

Damit sind die Grundvoraussetzungen für ein modernes Speichermedium gegeben und weitere Techniken, bspw. für den Parallelzugriff auf Daten, werden fortlaufend entwickelt. Im Vergleich mit herkömmlichen Speichermedien weist DNA-Speicher allerdings eine langsame Lese- und Schreibgeschwindigkeit und vergleichsweise hohe Betriebskosten auf, insbesondere bei der Synthese und Sequenzierung. Durch die ständigen wissenschaftlichen Fortschritte im Forschungsgebiet wird ein breitflächiger Einsatz der Technologie jedoch innerhalb von zehn Jahren erwartet.

Prozessschritte bei der Nutzung eines DNA-Speichers

Synthetische Fossile

Aktuelle Speichermedien wie SSDs, Festplatten und Magnetbänder haben eine Lebenszeit von wenigen Jahrzehnten. Spätestens dann müssen die Datenträger ausgetauscht werden und die darauf gespeicherten Daten zum neuen Speicherort migriert werden. Zusätzlich dazu besteht die Problematik, dass sich Datenschnittstellen weiterentwickeln – der Zugriff auf veraltete Datenspeicher muss für Langzeitspeicherungen also sichergestellt werden. Ein entscheidender Vorteil von DNA-Speicher besteht darin, dass DNA als Datenträger von der Natur universell eingesetzt wird und damit auf absehbare Zeit für Menschen relevant bleibt – DNA wird also nicht durch den nächsten Trend abgelöst, im Gegensatz zu Speichermedien wie Mikrofilm. Dies gilt jedoch ausschließlich für das Medium an sich – die Kompatibilität der darauf gespeicherten Dateien zu aktuellen IT-Systemen ist dadurch nicht garantiert. Die DNA-Moleküle sind nicht unzerstörbar – in der Natur werden sie durch Lebewesen oder in Fossilen erhalten, welche sie vor Schaden durch Licht, Temperatur und Chemikalien bewahren. Im Einsatz als DNA-Speicher erschaffen Forscher:innen deswegen sog. „synthetische Fossile“, um die Moleküle vor schädlichen Einwirkungen zu bewahren. Dazu werden die DNA-Partikel in winzige Glaskugeln eingearbeitet und bei Bedarf mit einer speziellen chemischen Lösung wieder aus dem synthetischen Fossil extrahiert. Mit dieser Methode kann ein DNA-Speicher bei richtiger Lagerung (kühl und lichtgeschützt) bis zu 1000 Jahre lang erhalten bleiben – alternativ lassen sich für kurzfristige Einsatzzwecke aber auch kompostierbare DNA-Speicher herstellen, welche rasch und ohne negative Umweltauswirkung abgebaut werden.

Begriffliche Verortung

 
 

Heißer Trend, kalte Daten

DNA-Speicher überzeugt durch seine Speicherdichte und Beständigkeit und kann seine Stärken daher insbesondere im Lagerzustand beweisen. Der Weg in die Lagerung und wieder zurück ist mit den gegenwärtigen Methoden jedoch aufwändig und teuer. Deswegen bietet sich die Technologie zurzeit vorrangig für „kalte Daten“ an, also für Daten, auf die selten zugegriffen wird. Dies können Geschäftsdaten sein, welche aus rechtlichen Gründen aufbewahrt werden müssen, oder archivarische Daten aus Verwaltung, Bibliotheken etc. Während sich die notwendige Technik im Bereich der Sequenzierung und Auslesung von DNA auf USB-Stick-Größe miniaturisiert hat, ist für die DNA-Synthese weiterhin komplexe und teure Maschinerie notwendig. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass DNA-Speicher innerhalb kurzer Zeit auch im Anwenderbereich und in Alltagsszenarien zum Einsatz kommt. Die Familienfotos werden also voraussichtlich nicht in DNA-Speicher verewigt werden. Angesichts des as-a-Service-Großtrends (siehe Mikroservices) ist jedoch zu erwarten, dass entsprechende kommerzielle Angebote für die Langzeitspeicherung von privaten Daten entstehen werden.

Expert:innen skizzieren weiterhin mehrere kreative und visionäre Einsatzmöglichkeiten der Technologie. Bereits erprobt ist das „unsichtbare Etikett“ zur Lieferkettentransparenz, wobei Produkte mit aufgesprühten (z.B. bei Gold) oder beigemischten (z.B. bei Olivenöl oder Benzin) DNA-Partikeln gekennzeichnet werden (siehe Industrie 4.0). Weiterhin können sensible Daten durch den Einsatz von DNA-Speicher gut versteckt werden, da die Partikel in nahezu jedem Kunststoff eingebettet und dadurch versteckt werden können. Es stecken noch ungeahnte Potenziale in der Technologie die sich jedoch erst dann leichter erschließen lassen, wenn die Synthese- und Sequenzierungsprozesse günstiger und portabler werden.

Eine reife DNA-Speicher-Technologie ist eine platzsparende, ressourcenschonende und damit nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Langzeit-Speichermedien (siehe Grüne Software), stellt Gesellschaft und Wirtschaft aber auch vor neue Herausforderungen. Die Nutzung und Patentierung von spezifischen DNA-Sequenzen rückt zunehmend in den Fokus und wirft potenziell rechtliche Fragen auf. Weiterhin werden die Betriebskosten von Langzeitspeicher mit der DNA-Technologie gesenkt. Organisationen können damit über größere Mengen an (kalten) Daten verfügen, welche potenziell neue Datengrundlagen für bspw. die Entwicklung zukünftiger Anwendungen bilden (siehe Neuronale Netze), aber im Kontext von Privatheit und Recht auf Vergessen (siehe Digitale Unversehrtheit) auch Probleme aufwerfen. DNA-Speicher befindet sich immer noch in einem frühen Entwicklungsstadium – trotzdem haben sich schon erste Industrie-Allianzen zu der Technologie gebildet, um die Zukunft der Datenspeicherung mitzugestalten.

Themenkonjunkturen

Folgenabschätzung

Möglichkeiten

  • Extrem hohe Informationsdichte und Langlebigkeit ermöglichen platzsparende und ressourcenschonende Langzeitspeicherung
  • DNA-Speichertechnologie profitiert direkt von Entwicklungen in der Biotechnologie
  • DNA als Datenträger ist zeitlos, da es naturgegeben universell verbreitet ist und auf absehbare Zeit relevant bleibt

Wagnisse

  • Einsatz hochspezialisierter Technik kann digitale Souveränität gefährden
  • Hohe Prozesskosten und großer Zeitaufwand beim Speichern und Auslesen des DNA-Speichers limitiert beim aktuellen Technikstand das Einsatzgebiet
  • Neue Codierungsmechanismen von chemischen Basen zu binärem Code schaffen Standardisierungsbedarf
  • Bei ausbleibenden Technikdurchbrüchen in der Miniaturisierung bleibt DNA-Speicher eine Nischentechnologie für die Langzeitarchivierung von Daten

Handlungsräume

Datenflüsse neu denken

Das rasant steigende Datenvolumen macht eine Transformation der Datenverarbeitungsprozesse von privaten und öffentlichen Organisationen notwendig. Es ist von zentraler Wichtigkeit, Datenflüsse unabhängig vom Speichermedium zu definieren, sodass eine Migration auf zukünftige Speichertechnologien einfacher gestaltet wird. DNA-Speicher könnte dabei als Langzeitziel angesteuert werden.

Patentierung von DNA-Sequenzen

Bei der Entwicklung von bspw. genmodifizierten Pflanzen oder medizinischen Technologien werden gewisse DNA-Sequenzen patentiert und damit privatisiert. Dies hat potenziell einengende Konsequenzen für die freie Forschung und die Menschen, die von dieser Forschung profitieren könnten. Mit der wachsenden Relevanz von DNA-Technologie sind juristische Konflikte im Umgang mit natürlichen und synthetischen DNA-Sequenzen zu erwarten.

Massentauglichkeit fördern

Der Zugriff auf DNA-Speichertechnologie erfordert spezialisierte, teure Technik, welche nur Organisationen und wohlhabenden Privatpersonen zur Verfügung steht. Bis die Zugriffstechnologie für DNA-Speicher miniaturisiert und kostengünstig wird, birgt dies ein Risiko für einen egalitären Zugang zu Wissen und Daten – spätestens, wenn Daten des öffentlichen Sektors auf DNA-Speichern lagern.