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Low-Code-Plattformen – von den Gestaltungsaspekten zu Auswahlkriterien

Low-Code-Plattformen – von den Gestaltungsaspekten zu Auswahlkriterien

Von Jan Gottschick und Jens Tiemann

Eine zügige Umsetzung von rechtlichen Normen in Fachverfahren gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die öffentliche Verwaltung hat in diesem Zuge begonnen, Low-Code-Plattformen auszuwählen und zu beschaffen. Mit der Leistungsfähigkeit derartiger Softwaresysteme steigen auch die Anforderungen an die eigene Organisation. Eine Anbietererhebung soll potentiellen Anwender:innen dabei helfen, einen ersten Überblick über den vielfältigen Markt zu erhalten.

Low Code und seine Variante No Code sind derzeit viel diskutierte Themen in der öffentlichen Verwaltung. Es handelt sich um Konzepte, mit denen Mitarbeiter:innen der Verwaltung einfache Fachverfahren selbst erstellen, pflegen oder fachliche Aspekte selbst anpassen können. Das Ziel dabei ist, dass die Verwaltung effektiver, effizienter und schneller neue Anforderungen umsetzen kann, insbesondere bei Änderungen von rechtlichen Vorgaben. Durch Übernahme und Anpassung an anderer Stelle bereits existierender Fachverfahren könnte zudem die Digitalisierung beschleunigt werden.

Um die öffentliche Verwaltung bei der Einführung von Low-Code-Systemen zu unterstützen, plant das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) eine Anbietererhebung. Im Gegensatz zu klar definierten Software-Komponenten wie E-Akte-Systeme, sind Low-Code-Systeme wesentlich vielfältiger. In diesem Beitrag werden wir uns daher genauer mit den Eigenschaften und Merkmalen von Low-Code-Plattformen befassen, wichtige Begriffe erläutern und den Nutzen einer Anbietererhebung bei der Einführung von Low-Code-Lösungen aufzeigen.

Low Code als Konzept

Für eine einheitliche Definition wird der Begriff »Low Code« zu breit verwendet. Der Begriff weist zunächst nur darauf hin, dass leistungsfähige Anwendungen mit minimalem klassischen Programmieraufwand erstellt werden können. Statt mit einer universellen Programmiersprache wird die Anwendung mithilfe verschiedener Modelle oder Beschreibungen erstellt, die sowohl von Fachexpert:innen als auch von der Low-Code-Software verstanden werden. Diese fachspezifischen Beschreibungen enthalten beispielsweise Informationen über Formularfelder, Geschäftsprozessabläufe und datenbasierte Entscheidungen. Diese Modelle dienen als Grundlage für die Erzeugung der Anwendungen (siehe Abbildung 1). Im Kontext der öffentlichen Verwaltung sind das vor allem Fachverfahren.

Abbildung 1: Allgemeines Konzept einer Low-Code-Lösung (ÖFIT-Illustration)

In der ersten Abbildung wird eine vereinfachte Struktur von Low-Code-Lösungen sowie die damit verbundene Begrifflichkeit vorgestellt, die in den nachfolgenden Betrachtungen, den Anforderungen durch die Nutzer:innen und der Anbietererhebung, verwendet wird.

Die Low-Code-Software übersetzt Modelle (also Beschreibungen von Abläufen, Entscheidungen und Datenfeldern) in Low-Code-Module, die durch die Generierung aus den Quellen als Software-Komponenten entstehen, und die einen wesentlichen Teil der Anwendung ausmachen. Ergänzend nutzt die Anwendung Basismodule für den Zugriff auf Basisdienste. Diese ermöglichen beispielsweise von der Verwaltung genutzte Registerabrufe oder Kommunikations- bzw. Bezahlfunktionen. Da Low-Code-Lösungen in bestehende IT-Umgebungen der Verwaltung integriert werden müssen, gibt es eine weitere Gruppe von Modulen, die eine Integration mit vorhandenen IT-Komponenten ermöglichen, wie z. B. Bürgerkonten oder E-Akte-Systeme. Diese individuellen Module können von den Funktionen der Low-Code-Modelle bzw. - Module genutzt werden. Mit der Zeit kann so die Leistungsfähigkeit einer Low-Code-Lösung und der damit erstellten Anwendungen durch die Verfügbarkeit von mehr und leistungsfähigeren Basisdiensten sowie einer wachsenden Anzahl individueller IT-Komponenten steigen.

Die Komponenten benötigen und nutzen Konfigurationen, die ebenfalls als Quellen betrachtet werden können. Im einfachsten Fall handelt es sich dabei um Informationen, die eine Anpassung und Wiederverwendung von Fachverfahren ermöglichen.

Um Low-Code-Module zu erstellen und diese zu einer Anwendung zusammenzufügen, benötigt man eine Entwicklungsumgebung. Diese unterstützt die Erstellung, Pflege und Anpassung der Anwendung sowie weitere Funktionen zur Zusammenarbeit der Entwickler:innen und zur Dokumentation der Anwendung. Die erstellte Anwendung wird anschließend in einer Ausführungs- oder Laufzeitumgebung betrieben. Die zentralen Softwarekomponenten, die für die Entwicklung und Nutzung von Low-Code-Anwendungen verwendet werden, werden vereinfachend als Low-Code-Plattform bezeichnet. Im engeren Sinne bezieht sich der Begriff Low-Code-Plattform auf integrierte Softwaresysteme, die sowohl die Entwicklungsumgebung als auch die Laufzeitumgebung umfassen. Bei komplexeren und leistungsfähigeren Systemen kann es sinnvoll sein, die Entwicklungsumgebung von der Laufzeitumgebung klar zu trennen. Dies kann aus Gründen der Skalierbarkeit, und vor allem der IT-Sicherheit erfolgen, da die Trennung eine Bereitstellung von Teilen der Low-Code-Plattform in verschiedenen Sicherheitszonen und IT-Umgebungen ermöglicht.

Low-Code-Canvas beschreibt Gestaltungsaspekte von Low-Code-Lösungen

Der Markt für Low-Code-Lösungen ist vielfältig und wird hauptsächlich von integrierten, geschlossenen Plattformen dominiert. Viele Low-Code-Plattformen sind prinzipiell generisch und teilweise auf bestimmte Anwendungsgebiete spezialisiert. Das Geschäftsmodell variiert ebenfalls, es gibt Open-Source-Lösungen, On-Premise-Lösungen und Low-Code-as-a-Service in der Cloud. Die Anbieter:innen reichen von kleinen und mittleren Unternehmen bis hin zu globalen Anbieter:innen. Low-Code-Plattformen sind weder Standardsoftware noch basieren sie bisher auf standardisierten Schnittstellen, Modellen und Funktionen. Auch universelle, offene Low-Code-Schnittstellen zur Integration eigener Module und Modelle werden derzeit noch nicht unterstützt.

Um eine fundierte Einschätzung der Einsatzmöglichkeiten von Low-Code-Plattformen zu ermöglichen, wurde der Low-Code-Canvas entwickelt. Dieser umfasst aus technischer und organisatorischer Perspektive relevante Themen und Eigenschaften, die eine Low-Code-Plattform betreffen können. Die Themensammlung des Low-Code-Canvas erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern konzentriert sich auf die wesentlichen Aspekte.

Neben den eher technischen und damit anbieterspezifischen Aspekten gibt es auch die Perspektive der Organisationen, die eine Low-Code-Plattform nutzen. Die verstärkte Einbindung der eigenen Fachexpert:innen in die (Weiter-)Entwicklung von Fachanwendungen bedeutet auch, dass die Mitarbeiter:innen der zukünftig nicht nur Nutzer:innen der Anwendung sind. Die Mitarbeiter:innen werden auch an der Entwicklung und Pflege der Anwendung direkt beteiligt, wodurch der Einsatz einer Low-Code-Lösung Einfluss auf die Organisation hat. Um diese vielfältigen Themen leichter auswerten zu können, wurden die verschiedenen Themen aus dem Low Code Canvas verschiedenen Anforderungsbereichen zugeordnet.

Abbildung 2: Anforderungsbereiche an eine Low-Code-Plattform (ÖFIT-Illustration)

Die Anforderungen aus diesen Bereichen können sowohl durch technische Eigenschaften der Low-Code-Plattform, als auch durch die Organisation der Anwender:innen erfüllt werden. Bei der Auswahl einer Low-Code-Plattform gilt es daher, nicht nur die Funktionalität zu berücksichtigen, sondern auch die Auswirkungen auf die Organisation und Fähigkeiten der Anwender:innen. Beispielsweise können entsprechende Schulungen angeboten werden, um die Nutzung der Plattform zu unterstützen.

Die genauen Anforderungen an eine Low-Code-Plattform und an die Organisation, die sie einsetzt, müssen im Rahmen eines Auswahlprozesses konkretisiert werden. Es gibt verschiedene Anforderungsbereiche, die sowohl die Anbieter:innen von Low-Code-Lösungen als auch die Anwender:innen selbst betreffen können.

Anbietererhebung gibt ersten Überblick über Low-Code-Plattformen

Um künftige Anwender:innen bei der Ausschreibung und Auswahl von Low-Code-Plattformen zu unterstützen, haben wir einen grundlegenden, allgemeinen Fragenkatalog für Anbieter:innen entwickelt, der auf die wesentlichen Anforderungen aus dem Low-Code-Canvas Bezug nimmt.

Die Anbietererhebung umfasst rund 50 Fragen in folgender Struktur:

  1. Anbieter:in und Produkt
  2. Funktionen der Low-Code-Lösung
  3. Details zur Low-Code-Entwicklung
  4. Details zu Low-Code-Anwendungen
  5. Organisatorische Aspekte und Rahmenbedingungen

Die Fragen wurden initial aus den Themen des Low-Code-Canvas abgeleitet. Ferner wurden die Fragen auch den verschiedenen Anforderungsbereichen zugeordnet, um eine hohe Konsistenz zu erreichen und alle wichtigen Aspekte zu berücksichtigen. Der Fragenkatalog ist sicherlich nicht vollständig umfassend. Dennoch kann er Anwender:innen helfen, sich einen Überblick und Eindruck über die angebotenen Funktionalitäten der Low-Code-Plattformen und deren Einsatzmöglichkeiten zu verschaffen. Der Fragenkatalog kann auch als eine Grundlage für Ausschreibungen dienen. Das Ergebnis der Anbietererhebung soll vor allem den potentiellen Anwender:innen dabei helfen, ihre eigenen Anforderungen gezielt zu konkretisieren. Es ist nicht vorgesehen, die verschiedenen Produkte im Sinne eines Testberichts direkt zu vergleichen. Vor der Spezifikation der eigenen Anforderungen an potenzielle Produkte und Entwicklungen für eine Low-Code-Lösung sollten ergänzend die konkreten Ziele, Rahmenbedingungen, fachlichen Anforderungen und Qualitätsanforderungen der eigenen Organisation festgelegt werden.

Die Erhebung steht allen Anbieter:innen von Low-Code-Lösungen offen. Die Antworten der werden auf der ÖFIT-Webseite ab dem Frühjahr 2024 neutral präsentiert. Verschiedene Filter ermöglichen den Nutzer:innen die Präsentation der Ergebnisse selbst anzupassen und entsprechend ihrer Anforderungen den Kreis von Anbieter:innen einzugrenzen.

Die Auswertung der Antworten der Anbietererhebung kann vor allem auch aufzeigen, welche technischen Funktionalitäten auf dem vielfältigen Markt für Low-Code-Plattformen konkret verfügbar sind und wo die Prioritäten sowohl im Markt als auch bei einzelnen Anbieter:innen liegen. Dadurch können Anwender:innen auch eine klarere Vorstellung von den Möglichkeiten eines Einsatzes von Low Code erhalten. Dieses Wissen unterstützt sie bei der Einführung von Low-Code. Es hilft ihnen darüber hinaus auch dabei, ihre strategischen Ziele besser zu definieren und fundierte Entscheidung für den Einsatz einer Low-Code-Plattform in ihrer Organisation zu treffen.

© iStockphoto/ Radachynskyi

Low-Code-Canvas veröffentlicht

Anlässlich des German Low-Code Day 2024 veröffentlicht der Geschäftsbereich Digital Public Services am Fraunhofer FOKUS die Publikation »Low-Code-Canvas – Gestaltungsaspekte von Low-Code-Plattformen«. Die Publikation ist in Zusammenarbeit mit der Low-Code Association e.V. entstanden, um beim Einsatz von Low-Code-Plattformen technische wie nicht-technische Aspekte ganzheitlich zu berücksichtigen.
Ziel des Low-Code-Canvas ist ein Vorschlag für die systematische Betrachtung von Low-Code, um daraus individuelle Anforderungen an einsatzbereite Softwaresysteme abzuleiten.

Weiterführendes von ÖFIT:

re|Staat digital – Der ÖFIT-Podcast: Low Code – Folge 23

Der Ansatz Low Code verspricht eine Softwareentwicklung von neuen Anwendungen weitgehend ohne klassischen Programmcode. Auf diese Weise soll es für IT-Nutzer:innen immer einfacher werden, Aufgaben und Geschäftsprozesse selbst zu programmieren. Ob es wirklich so einfach ist und welche Konsequenzen und Möglichkeiten dies für die Entwicklung von Fachverfahren in der öffentlichen Verwaltung hat, erörtern wir bei re|Staat digital mit Anna Opaska.

Blogbeitrag: Low Code als Law Code – Von der Idee zum Verwaltungsakt

Prinzipien wie Once Only oder Fachverfahren, die antragslos übermittelt werden, sollen in der digitalisierten Verwaltung zukünftig nicht nur möglich, sondern verbreitet sein. Das alles ist mit alter Gesetzgebungstechnik nicht mehr gut umsetzbar. Es braucht also eine Möglichkeit, Gesetze schnell und nahtlos in durchgehend digitalisierte Fachverfahren übertragen zu können.

(Un)berechenbar - Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft

Wie wirken datenbasierte Technologien, Algorithmisierung und Automatisierung auf staatliches Handeln, auf politisch-administrative Prozesse, auf Regierungspraktiken und -rationalitäten? Nach welchen Logiken entsteht Öffentlichkeit in den von algorithmischen Schaltungsprozessen strukturierten digitalen Kommunikationsräumen? Welche neuen Handlungsräume und Perspektiven eröffnen sich für Regierungs- und Verwaltungshandeln, wie wirken datenbasierte Technologien aber auch wieder auf diese zurück? Welche politischen, demokratietheoretischen, rechtlichen und ethischen Fragestellungen ergeben sich? Diese Kernfragen werden in der Publikation aus der Perspektive der Verwaltungswissenschaften, der Rechtswissenschaften, der politischen Theorie, der Informatik und Gesellschaft, der Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Politik und Zivilgesellschaft beleuchtet.


Veröffentlicht: 08.02.2024