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OZG-Umsetzung im Krisenmodus: Wie Corona die Digitalisierung der Verwaltung beschleunigt

OZG-Umsetzung im Krisenmodus: Wie Corona die Digitalisierung der Verwaltung beschleunigt

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Ernst Bürger ist seit Juni 2020 Leiter der neuen Abteilung »Digitale Verwaltung; Steuerung OZG« im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Zuvor leitete er dort knapp zwei Jahre lang die Unterabteilung »Verwaltungsdigitalisierung und Verwaltungsorganisation; Steuerung/Koordination OZG; GS IT-Planungsrat«. Nach dem Jurastudium und einer Tätigkeit als Anwalt und Repetitor in Münster begann er 1998 im BMI in der Abteilung für Ausländerrecht und war dort maßgeblich am Zuwanderungsgesetz 2001 beteiligt. Von 2001 bis 2005 war er Büroleiter der Staatssekretäre Zypries und Dr. Wewer und übernahm anschließend die Leitung des Grundsatzreferates »Informationsgesellschaft und E-Government« im IT-Stab. Ab 2008 verantwortete Ernst Bürger das Arbeits- und Tarifrechtsreferat und führte in dieser Funktion zahlreiche Tarifverhandlungen für den Bund. Er ist ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht.

Ernst Bürger, Leiter der Abteilung Digitale Verwaltung/Steuerung OZG im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), gibt einen Überblick darüber, wie die Pandemie die OZG-Umsetzung beeinflusst hat und wie das BMI auf die Krise reagierte.

Die Corona-Zeit hat uns verdeutlicht, dass der digitale Alltag funktionieren kann: Arbeiten im Home-Office, Abschlussprüfungen im Videochat, Online-Sprechstunden beim Hausarzt. Wichtig ist jetzt, dass auch die öffentliche Verwaltung zeigt, dass sie den Sprung vom Papierformular zum Online-Antrag schafft. Daran arbeiten wir bereits unter Hochdruck, nämlich im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes.

Das Onlinezugangsgesetz (kurz: OZG) verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten – das beinhaltet konkret zwei Aufgaben: Digitalisierung und Vernetzung. Seit Inkrafttreten des OZG im Jahr 2017 arbeiten wir daran, die zahlreichen Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen (zusammengefasst in 575 nutzerfreundliche OZG-Leistungsbündel) als Online-Prozesse zu entwickeln – ein Mammutprojekt, wenn man die vielschichte deutsche Behördenstruktur bedenkt. Die OZG-Umsetzung erfordert daher ein enges Zusammenarbeiten von Bund, Ländern und Kommunen.

Viele Verwaltungsleistungen, wie Wohngeld, Führerschein und der Kinderzuschlag, können schon heute digital beantragt werden. Zahlreiche unserer Digitalisierungsprojekte haben wir bereits erfolgreich in die Praxis gebracht, einige große Meilensteine liegen noch vor uns. Durch die Corona-Zeit haben wir bei Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes sogar nochmal einen Zahn zugelegt.

Abbildung1: Führerschein-Antrag im Main-Kinzig-Kreis, seit 15. September 2020 online, BMI.

Die Wichtigkeit von digitaler Verwaltung in Krisenzeiten

Die Corona-Zeit hat unser Leben auf den Kopf gestellt und uns alle mit großen Herausforderungen konfrontiert. Aber wenn man ihr ein Gutes abgewinnen kann, dann, dass sie gezeigt hat: Es geht auch digital und es muss vor allem auch digital gehen. Ein digital funktionierender Staat ist essentiell – gerade in Zeiten von Kontaktbeschränkungen muss es für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen möglich sein, ohne Gang zum Amt mit den Behörden interagieren zu können.

Wir haben in der OZG-Umsetzung rasch auf die Krisensituation reagiert. Schon im März, mit Beginn der steigenden Covid-19-Fälle war klar, dass die Menschen in Deutschland in den nächsten Monaten Leistungen beanspruchen werden, die bisher eher wenig in Anspruch genommen wurden. Deshalb haben wir im OZG krisen- und gesundheitsrelevante Verwaltungsleistungen priorisiert und deren Digitalisierung beschleunigt. Ein Beispiel sind Leistungen aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) :

Für die Lohnerstattung aufgrund von behördlich angeordneter Quarantäne oder Tätigkeitsverbot nach §56 (1) IfSG wurde bis 2020 nur weniger als 200 Mal im Jahr ein Antrag gestellt. Ende März wurde dazu noch die Erweiterung § 56 (1a) IfSG erlassen, wodurch auch das Betreuungserfordernis aufgrund der Schließung von Schulen und Kitas zum Antrag auf Lohnerstattung berechtigt. Mit dem Ausbruch von Covid-19 gibt es nun über 1,3 Millionen Anspruchsberechtigte. Die Anträge gehen ein bei 142 zuständigen Behörden, für die es bis dato kein einheitliches Antragsformular und keinen Standard zur digitalen Sachbearbeitung gab.

Beschleunigung der OZG-Umsetzung: Express-Labor zum IfSG

Wir haben schnell gehandelt: Innerhalb von 36 Tagen haben wir in einem »Express-Digitalisierungslabor« einen Online-Prozess entwickelt. Das Verfahren funktioniert nach dem »Einer für Alle«-Prinzip, das heißt, eine digitale Lösung wird nur einmal in einem Land entwickelt und von allen anderen nachgenutzt. In diesem Falle war das Land NRW federführend tätig und hat den Prozess gemeinsam mit dem BMI entwickelt. Das Verfahren wurde mit Go-Live direkt in acht Bundesländern eingeführt. Heute sind elf Länder an unseren IfSG-Prozess angeschlossen.

Mit diesem digitalen Verfahren sparen wir 8.000 Arbeitsstunden durch schnellere Bearbeitung, schon in den ersten vier Wochen wurden 16.000 Online-Anträge gestellt. Zum Antragsprozess wurde eine Info-Seite veröffentlicht, die alle Nutzerinnen und Nutzer ausführlich über die Berechtigung zum Antrag sowie das Online-Verfahren informiert.

Abbildung 2: In 36 Tagen zum IfSG-Online-Antrag, BMI.

Das Express-Labor war natürlich eine Ausnahmesituation und hat nur mit enormem Aufwand auf allen Seiten, einigen Nacht-Schichten, Arbeit aus dem Homeoffice und verkürzten Abstimmungsschleifen funktioniert. Auch wenn damit keine perfekte Blaupause für die zukünftigen regulären Digitalisierungsprozesse geschaffen wurde, zeigt uns das Express-Labor, wie schnell, unbürokratisch und agil wir als Staat digitale Prozesse entwickeln und bereitstellen können. Das Express-Labor hat verdeutlicht, an welchen Stellschrauben wir noch drehen müssen, um die Arbeitsprozesse zur Digitalisierung der Verwaltung zu beschleunigen und effizienter zu gestalten.

Weitere Beispiele, wie wir die OZG-Umsetzung in der Krise beschleunigt haben, sind der digitale Antrag für Arbeitslosengeld II in kommunalen Jobcenter, den wir im Eilverfahren finalisiert und im Mai 104 Optionskommunen zur Verfügung stellen konnten, der digitale Antrag für das »Notfall-Kindergeld«, der auf dem zuvor entwickelten OZG-Prozess aufgesetzt hat, sowie der digitale Prozess für die »Corona-Überbrückungshilfe«, der in nur drei Wochen nach Beschluss im Konjunkturpaket vollständig digital entwickelt wurde.

Das Konjunkturpaket als Katalysator des »Einer für Alle«-Prinzips

Die Digitalisierungsprojekte haben in der Bundesregierung einen hohen Stellenwert, das wurde auch durch die zusätzlichen Finanzmittel im Konjunkturpaket deutlich. Dort wurde die OZG-Umsetzung mit drei Milliarden Euro bedacht – das gibt uns Rückenwind, unsere Vision der digitalen Verwaltung – trotz äußerst ambitioniertem Zeitplan – schnell, nutzerfreundlich und flächendeckend umzusetzen. Mit den Finanzmitteln sollen direkt die Länder und Kommunen unterstützt werden, da diese ja den Großteil der Leistungen digitalisieren und umsetzen müssen.

Im Fokus steht dabei das Prinzip »Einer für Alle«, das vorsieht, dass Online-Lösungen für OZG-Leistungen nur einmal an einer Stelle – also Land oder Kommune – digital entwickelt und diese von allen anderen nachgenutzt werden. Damit muss nicht jede Leistung 11.000 Mal in jeder Kommune neu entwickelt werden. Das spart Zeit und Ressourcen und stellt sicher, dass alle Verwaltungsleistungen überall in gleich hoher Qualität digital verfügbar sind – egal ob man den Antrag in Stuttgart oder Buxtehude stellt. Wir im BMI forcieren das »Einer für Alle«-Prinzip, da wir es als den Schlüssel zum Erfolg sehen. Die Finanzmittel aus dem Konjunkturpaket sind daran geknüpft, d.h. es werden nur die Digitalisierungsprojekte finanziert, die sich an die »Einer für Alle«-Methode halten. Meiner Meinung nach, kommen wir nur so schnell zur einer flächendeckenden digitalen Verwaltung.

Wie nehmen wir den Digitalisierungsschub mit in die Zukunft?

Die Corona-Zeit ist eine Zäsur. Wir müssen unser Denken und Handeln jetzt langfristig ändern und sicherstellen, dass wir nicht in wenigen Monaten wieder in den alten Trott zurückfallen. Wir nutzen den Digitalisierungsschub, denn spätestens jetzt sollten alle wissen: Ein digitaler Staat und digitale Prozesse sind nicht »nice to have« sondern die Grundlage für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Deshalb sollten wir zukünftig dem Mantra »Digital First!« folgen und Leistungsanträge erst digital statt in Papierform konzipieren. Wir müssen alle unsere Perspektive ändern: Statt bürokratisch denken wir von jetzt an von den Nutzerinnen und Nutzern her. Und Bund, Länder und Kommunen müssen in Sachen OZG-Umsetzung zukünftig noch enger zusammenarbeiten und dabei an einem Strang ziehen: »Einer für Alle« muss das zentrale Vorgehen sein – ansonsten ist dieses Mammutprojekt nicht zu schaffen.

OZG-Dashboard: Verwaltungsdigitalisierung transparent machen

Die OZG-Umsetzung ist eines der größten Digitalisierungsprojekte, die es in Deutschland je gegeben hat. Wir machen große Fortschritte und setzen dabei zum Teil sogar Projekte um, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Das wollen wir nicht geheim halten und allen Interessierten transparent verfügbar machen. Deshalb haben wir zum 1. Oktober 2020 unser OZG-Dashboard veröffentlicht. Hier kann mit wenigen Klicks eingesehen werden, wie viele und welche Leistungen bereits online sind. Die jetzige Version ist eine erste Ausbaustufe und wird demnächst um weitere Funktionen ergänzt. Alle detaillierten Infos, die über das OZG-Dashboard hinausgehen, gibt es natürlich weiterhin auf der OZG-Infoplattform: Hier wird der Fortschritt jeder einzelnen der 575 OZG-Leistungsbündel aufgezeigt, transparent und nachvollziehbar.


Veröffentlicht: 11.11.2020