Agilität in der Verwaltung – Neue Herausforderungen benötigen neue Lösungen!
Agilität in der Verwaltung - Neue Herausforderungen benötigen neue Lösungen!
Julia Elena Taubenberger ist Studentin der Copenhagen Business School im Bereich Diversity und Change Management (MSc). Im Rahmen ihrer Masterarbeit untersuchte sie, ob und wie in der Verwaltung agil gearbeitet werden kann. Aktuell ist sie in einer IT und Managementberatung tätig und beschäftigt sich mit Digitalisierungsthemen der öffentlichen Hand.
Hier ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe:
- Agilität in der Verwaltung – Neue Herausforderungen benötigen neue Lösungen!
- Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung zielführend? Eine Entscheidungshilfe
- Digital Innovation Team (DIT) – Lehren aus der Praxis
»Agilität« – dieser Begriff ist längst ein Buzzword des 21. Jahrhunderts geworden: Große Technologieunternehmen setzen agile Methoden ein, Beratungshäuser werben mit agilen Coaches und Start-ups beschreiben sich ganz natürlich als »agil«. Doch was bedeutet Agilität eigentlich? Warum möchten Unternehmen agil werden? Und wenn Privatunternehmen agil werden, wäre dann nicht auch eine agile öffentliche Verwaltung denkbar, beziehungsweise notwendig?
Was bedeutet Agilität?
Agilität eindeutig zu beschreiben ist schwierig, da es eine Vielzahl an Definitionen und Interpretationen gibt. Ursprünglich entstammt die Agilität den systematischen Organisationstheorien der 1950er Jahre. Seitdem wurde der Begriff jedoch in unterschiedlichsten Kontexten verwendet und stetig weiterentwickelt. Besonders geprägt wurde unser heutiges Verständnis von Agilität in den 2000ern, als agile Entwicklungsmethoden die Software- und IT-Branche revolutionierten. Mehr und mehr entsprangen aus diesen Methoden Ansätze des Projektmanagements, wie bspw. SCRUM, die seither auch in nicht-informatischen Bereichen verwendet werden. Dabei sind agile Ansätze von einigen zentralen Werten geprägt, die sie klar von traditionellen Methoden unterscheiden:
- die Zufriedenstellung der Endkund:innen oder -nutzer:innen ist von höchster Priorität
- Projekte sollten in interdisziplinären Teams bearbeitet werden
- Teammitglieder sollen fachübergreifend zusammenarbeiten
- anstatt ein Projekt von Anfang bis Ende zu durchdenken und zu planen, wird ein offenerer iterativer Projektansatz bevorzugt
- Zwischenergebnisse werden regelmäßig und häufig dem Projektteam sowie dem Auftraggeber präsentiert, um so mögliche Fehler frühzeitig zu entdecken und zu korrigieren oder neue Anforderungen in das Projekt mit einfließen zu lassen
- Veränderungen der externen Rahmenbedingungen können und sollen jederzeit berücksichtigt werden
Um diese sogenannten agilen Werte bestmöglich umzusetzen, haben viele Privatunternehmen begonnen, ihre Organisationsstrukturen anzupassen und agiler zu gestalten. Das bedeutet konkret, dass interne Hierarchien weitestgehend abgeschafft werden, Mitarbeitende als autonom in ihrer Handlungs- und Entscheidungsfreiheit behandelt werden und sich in temporären projektbezogenen Teams anstelle von klar abgetrennten, thematisch gebundenen Abteilungen organisieren.
Doch warum all diese Veränderungen?
Was erhoffen sich Unternehmen von einem agilen Vorgehen und agilen Organisationsformen? Agilität wird als strategische Antwort auf die zunehmende Komplexität, Schnelllebigkeit und Unvorhersehbarkeit unserer Umwelt gesehen. Aktuelle Entwicklungen wie die Globalisierung, der Klimawandel oder die Digitalisierung stellen Unternehmen vor ungeahnte Herausforderungen, für die es keine vordefinierten oder planbaren Lösungen gibt. Insbesondere die anhaltende Covid-19 Pandemie zeigt eindrücklich auf, wie komplex – das heißt vernetzt und unvorhersehbar – globale Thematiken geworden sind. Um mit dieser Komplexität bestmöglich umzugehen, wird ein iteratives Vorgehen, die fachübergreifende Zusammenarbeit, die Kooperation mit externen Partner:innen, sowie das schnelle Entwickeln, Präsentieren und Anpassen von Ergebnissen – sprich ein agiles Vorgehen – forciert. Dabei sollen die Reaktionsfähigkeit und Flexibilität eines Unternehmens gesteigert werden, umso ein besseres Anpassen an externe Gegebenheiten zu ermöglichen und die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern. Der Begriff Agilität lässt sich daher beschreiben als die Fähigkeit einer Organisation, auf Veränderungen zu reagieren, Unvorhersehbarkeiten proaktiv entgegenzutreten, sowie die eigene Vorgehensweise konstant zu hinterfragen und anzupassen.
Agilität – auch relevant für die öffentliche Hand?
Die beschriebenen Herausforderungen unserer Umwelt und daraus resultierenden Beweggründe agil werden zu wollen sind jedoch gleichermaßen, wenn nicht sogar besonders relevant für die öffentliche Hand, die maßgeblich von diesen betroffen ist und Lösungen für sie entwickeln muss. Doch auf den ersten Blick erscheint ein agiler öffentlicher Sektor für viele paradox, utopisch und schlichtweg unmöglich. Denn wie soll ein System, das jahrhundertelang von starken Hierarchien, explizit vordefinierten Prozessen und einem hohen Maß an Bürokratie geprägt wurde, sich agil – also mit flachen Hierarchien, fluiden »Strukturen« und kollektiven Entscheidungsprozessen – organisieren?
Auch wenn die Agilität noch längst nicht so präsent und ausgeprägt in der öffentlichen Hand wie in der Privatwirtschaft ist, gibt es doch erste Bestrebungen, agil zu arbeiten und sich umzustrukturieren. Besonders von Fachbereichen, die mit Digitalisierungsthemen befasst sind, werden agile Ansätze zunehmend angestrebt. Praxisbeispiele zeigen, dass die öffentliche Verwaltung – trotz einiger Hürden und Schwierigkeiten – agil werden kann und von gesteigerter Agilität stark profitiert.
Digitalisierung profitiert von Agilität
Die aktuellen Digitalisierungsvorhaben der Bundesregierung zielen auf eine stärkere digitale Präsenz der öffentlichen Verwaltung ab. So sieht das Onlinezugangsgesetz (OZG) vor, dass bis 2022 575 Verwaltungsdienstleistungen für die Bürger:innen online zur Verfügung stehen. Um diese ambitionierte Vorgabe zeitnah und effektiv realisieren zu können, sind traditionelle Wasserfall-Projektmethoden und die klassische Einteilung von Mitarbeitenden in Fachbereiche jedoch ungeeignet und sogar hinderlich. Denn die vollständige vorab Konzeptionierung eines solchen Projektes würde die Grundbedürfnisse der Endnutzer:innen, sprich der Bürger:innen, und veränderte Anforderungen übergehen und wäre in seiner Planung sehr zeitaufwändig. Dies hätte zur Folge, dass die fertige digitale Dienstleistung nicht nur viel zu spät eingeführt werden könnte, sondern womöglich auch ihren Nutzen verfehlte.
Derartig komplexe und neuartige Aufgabenstellungen benötigen daher neue Arbeitsweisen: Die starke Einbindung der Endnutzer:innen, eine Vielzahl an Fach- und Methodenkompetenzen, die enge Zusammenarbeit zwischen den relevanten Fachbereichen und der Softwareentwicklung, sowie ein insgesamt schnelleres und dynamischeres Vorgehen. Berichte aus der Praxis bestätigen, dass die Verwendung agiler Arbeitsweisen wie beispielsweise Design Thinking, Scrum oder Kanban diese Bedürfnisse erfüllt und ein effektiveres, kreativeres und zielgerichtetes Arbeiten ermöglicht. Somit benötigt die Digitalisierung der Verwaltung nicht nur Agilität, sondern fördert auch gleichermaßen die agile Transformation der öffentlichen Hand.
Fazit
Auch wenn eine agile Verwaltung auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, ist sie doch, in einigen Bereichen, die geeignete und notwendige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen der öffentlichen Hand. Insbesondere die Bereiche, die mit komplexen Aufgabenstellungen betraut sind, wie etwa der Umsetzung des OZGs oder anderen Digitalisierungsvorhaben, können von agilen Arbeitsansätzen in vielfacher Weise stark profitieren, denn: Neue Herausforderungen benötigen neue Lösungen!
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Wann ist agiles Arbeiten in der Verwaltung zielführend? Eine Entscheidungshilfe
Veröffentlicht: 27.08.2020