Bereit zur Transformation?! Evidenzbasiertes Lernen als Schlüssel für einen fitten öffentlichen Sektor
Bereit zur Transformation?! Evidenzbasiertes Lernen als Schlüssel für einen fitten öffentlichen Sektor
Bereit zur Transformation?! Evidenzbasiertes Lernen als Schlüssel für einen fitten öffentlichen Sektor
von Caroline Paulick-Thiel , Jose Díaz Mendoza , Rubina Zern-Breuer und Mike Weber
Caroline Paulick-Thiel ist strategische Designerin und Expertin für verantwortungsvolle Innovation. Ausgebildet in Design (BA) und Public Policy (MPP), ist sie erfahren in der Entwicklung und Leitung von partizipativen Prozessen zur Bearbeitung öffentlicher Herausforderungen. Seit 2015 leitet sie Politics for Tomorrow, eine parteiunabhängige Initiative, die menschenzentrierte Gestaltungsansätze in öffentlichen Innovationen fördert und mit politisch-administrativen Institutionen von der lokalen bis zur höchsten Bundesebene in Deutschland zusammenarbeitet. Für das Creative Bureaucracy Festival initiierte sie die Academy - einen Raum für angewandtes Lernen.
Jose Díaz Mendoza ist auf den öffentlichen Sektor und dessen Entwicklung spezialisiert. In seiner Masterarbeit an der Hertie School of Governance untersuchte er statistische Erhebungen zu öffentlichen Innovationen mit Fokus auf Finanz- und Haushaltszyklen. Jose besitzt über sieben Jahre Berufserfahrung mit internationaler Ausrichtung. Er ist Experte für die Erbringung von Dienstleistungen und interessiert sich für soziale Entwicklungen, öffentliche Finanzen und strategisches Projektmanagement. Bei Politics for Tomorrow wirkt er als Fellow beim Innovations-Rekorder mit und unterstützt die Kommentierung und Entwicklung des Copenhagen Manuals für öffentliche Innovation.
Rubina Zern-Breuer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Hochschul- und Wissenschaftsmanagement an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, wo sie das Projekt »Wissens- und Ideentransfer für Innovation in der Verwaltung« (WITI) koordiniert und das dazugehörige Innovationslabor leitet. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Innovationsräume und -strukturen, transdisziplinäre Forschung und die Auswirkungen von Verwaltungsdigitalisierung. Ihr jüngster Artikel beschäftigt sich mit der Rolle von digitalen Innovationslaboren für die öffentliche Verwaltung.
Mike Weber verantwortet am Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS den Bereich der Trend- und Zukunftsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Trend- und Innovationsforschung, der Digitalisierung von Staatlichkeit sowie der digitalen Zivilgesellschaft. Er hat seinen Abschluss in Soziologie in Bielefeld erlangt und an der Universität Speyer zur Förderung neu gegründeter Betriebe promoviert.
Wenn der öffentliche Sektor ein Netzwerk von Schiffen wäre, dann hätte der Sturm der COVID-19-Pandemie diese Schiffe Anfang März letzten Jahres in unbekannte offene Gewässer gedrängt. Während einige Schiffe im Sturm besser zurechtkamen als andere, ist zehn Monate später klar, dass nicht alle Anstrengungen die Schiffe in sichere Häfen brachten. Ganz im Gegenteil hält die Fahrt auf hoher See an. Während viele darauf hoffen, dass sich bald alles wieder normalisiert, erkennen andere, dass diese Normalität, wie wir sie kannten, nicht wieder zurückkommt. Das bemerken auch öffentlich Bedienstete - gerade weil der Umgang mit der neuen Normalität nicht einfach ist.
Dies geht aus einer Befragung mit dem Innovations-Rekorder hervor: Seit Ende Mai 2020 haben mehr als 500[1] öffentliche Bedienstete aus Österreich, Deutschland und der Schweiz den Innovations-Rekorder genutzt, um ihre Erfahrungen zu reflektieren. Das Instrument unterstützt den Einzelnen dabei, Meinungen, Gedanken und Wahrnehmungen über seinen Arbeitsplatz und dessen Zukunft zu sammeln[2].
Während andere Untersuchungen mit Blick auf COVID-19 und dessen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft aus der Perspektive Betroffener stammen - von den Bürger:innen, dem privaten Sektor, den zivilen Organisationen - schafft der Innovations-Rekorder einen Einblick in die Reflexion derjenigen, die Programme entwerfen, Politik umsetzen und Maßnahmen durchführen.
Was denken öffentliche Bedienstete über die Organisationskultur oder die vorherrschenden Strukturen am Arbeitsplatz während der Pandemie? Funktioniert Telearbeit für sie und die Menschen, für und mit denen sie tagtäglich arbeiten? Und wie ist ihre Meinung über die aktuellen politischen Entscheidungen und Maßnahmen?
Als entscheidender Teil der Crew - um im Bild des Schiffs zu bleiben - können sie dazu beitragen, dass die Institutionen, in denen sie arbeiten, nachhaltig verändert werden - was dazu beiträgt, dass wir die Reise gemeinsam gesund und munter überstehen.
Die Pandemie beschleunigt derzeit Veränderungen, die im öffentlichen Sektor schon längst angegangen, aber nur selten konsequent umgesetzt wurden. Mitten in der ersten Welle des COVID-19-Ausbruchs, arbeiteten in Deutschland beispielsweise 48% der Verwaltungsangestellten remote. Themen wie Digitalisierung, behördenübergreifende Zusammenarbeit und Peer Learning gewannen an Dynamik, ebenso wie die Geschwindigkeit der Umsetzung. Und obwohl diese Veränderungen spät kommen und in einer Zeit umgesetzt werden mussten, in der nicht nur einzelne Dienste, sondern das gesamte System an die Belastungsgrenze stieß, sind Möglichkeitsfenster für tiefgreifenden Wandel entstanden.
In diesem Kontext fragt der #InnoRec: »Was jetzt? Was dann? Was wäre, wenn ...« und betrachtet das Umfeld des öffentlichen Sektors, wobei Aspekte der - notwendigen - Verbesserung entfaltet und Anreize für eine evidenzbasierte Diskussion über die Schaffung eines förderlichen Umfelds für Transformation, Innovation und Lernen angeregt werden.
Motivationen - WAS?
Bei der Bewertung ihrer Arbeitstage im Vergleich zu den Tagen vor der Pandemie, zeige sich, dass zwischen Mai und Juli 2020 57% der Befragten nach wie vor durch ihre Arbeit und ihr Umfeld motiviert wurden - ein überraschend erfreulicher Befund. Das wurde vor allem durch wiederbelebte Erwartungen an Veränderungen, agile Teamwork-Ansätze und der Möglichkeit zur Umsetzung innovativer Ansätze getragen. Zugleich wurzeln die meisten Frustrationen in stark hierarchischen Führungsstilen und -strukturen, die ein Vorankommen in einer Zeit verhindern, in der es nicht nur wichtig, sondern dringend notwendig ist, »die Dinge anders zu machen«.
Interessant ist dabei, dass positive Elemente des sozialen Zusammenhalts (d.h. Solidarität, Wertschätzung) in einem Wechselspiel mit weniger ermutigenden Strukturelementen des Arbeitsumfeldes stehen (d.h. strengere organisatorische Kontrolle, exzessives Mikromanagement). Dies verdeutlicht die wachsende Bedeutung verschiedener Aspekte der gegenseitigen Unterstützung - Lernen, Beurteilung, Validierung - für öffentlich Bedienstete, um mit den steigenden Anforderungen an die Arbeit Schritt zu halten.
Organisatorische Regeln und Vorschriften helfen hier weniger. Wenn man jedes Mal fünf verschiedene Genehmigungen für die Entnahme von arbeitsbezogenen Hilfsmitteln benötigt, wird sich dies verständlicherweise sowohl auf die Produktivität als auch auf die Motivation bei der Telearbeit auswirken.
Erfahrungen und Perspektiven - WAS DANN? WAS JETZT?
Es zeigte sich zudem, dass Mitarbeiter:innen im öffentlichen Dienst anpassungsfähig und belastbar sind und sich für die Verbesserung (oder Verlagerung) von Fähigkeiten und Kapazitäten einsetzen, was gleichzeitig eine Veränderung der Spielregeln innerhalb der Organisation nahelegt.
Das wirft einige Fragen auf: Wollen das auch alle Führungskräfte? Verfügen die Organisationen über genügend Instrumente, um voranzukommen? Sind sie bereit, zu lernen und sich letztlich zu verändern? Sicher ist, dass der Status quo nicht bestehen bleiben kann, insbesondere dann nicht, wenn unvorhersehbare Ereignisse und Unplanbarkeit Teil der sogenannten neuen Normalität werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit proaktiven und kreativen Handelns.
Von den Teilnehmenden genannte Aspekte wie der Wunsch nach mehr Zusammenarbeit, das Mapping von Kompetenzen und Stärken, Digitalisierung, digitale Fähigkeiten oder kollaborative organisatorische Entscheidungen geben uns eine Vorstellung von der Richtung der Veränderungen und den Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit im öffentlichen Sektor insgesamt und der öffentlichen Verwaltung im Besonderen.
Auf die Frage nach dem Wesentlichen, das man beim Vorankommen im Auge behalten sollte, gingen die Antworten in eine ähnliche Richtung. Eine starke Betonung von Engagement, Kreativität in der Teamarbeit und Solidarität sind Beispiele für grundlegende Haltungen für die Zukunft.
Ungeachtet solcher Wahrnehmungen gibt es immer noch die Angst vor institutionellem Versagen - vor allem, wenn nur einige die Veränderungen tragen. Diese Befürchtung wird etwa genährt, wenn ein Siebtel der Befragungsteilnehmenden nicht antworteten, wenn sie nach ihrem persönlichen Beitrag zur organisatorischen Neuausrichtung gefragt wurden.
Organisationen in Bewegung - WAS WENN?
Unsere Auswertung fokussiert drei Ebenen des Wandels: Prozesse und Praktiken (40,0%), Strukturen und Normen (30,3%) und Einstellungen und Paradigmen (29,7%). Was wird in diesen unsicheren Zeiten als Erstes angegangen, wenn alles gleichermaßen relevant und dringend erscheint?
Möglicherweise ist es an der Zeit, Prioritäten auf unkonventionelle Weise zu setzen. Wenn man sich das Bild eines Eisbergs vorstellt, dann gibt es von der Spitze dieses Eisbergs bis hin zu den verborgenen, nicht sichtbaren Merkmalen zahlreiche Aspekte, die neu gestaltet und verändert werden können. So lassen sich zum Beispiel konkrete Formen der Zusammenarbeit für das Homeoffice weiterentwickeln, in dem Bürger:innen und öffentlich Beschäftigte mit Hilfe digitaler Werkzeuge zusammenarbeiten.
In ähnlicher Weise kann die Telearbeit mit flacheren Hierarchien und Regelungen den internen und externen Bürokratieabbau beschleunigen, was sowohl den Bürger:innen als auch den Beschäftigten und den Organisationsstrukturen zugute käme. Letzteres bedeutet auch, hierarchische Entscheidungs-Architekturen um selbstorganisierte, zielorientierte Arbeitszusammenhänge zu erweitern.
Wenn der Mut und die Offenheit wachsen, neue Wege zu beschreiten, dann können transparente und partizipative Entscheidungen getroffen werden. Die Rekorder:innen haben zum überwiegenden Teil angegeben, dass sie bereit sind, mehr #Verantwortung zu übernehmen, um zufriedener, motivierter und wirkungsorientierter die Herausforderungen einer unbekannten Zukunft zu meistern.
Die Tatsache, dass derzeit neue Routinen geschaffen werden, in denen die Arbeit qualitativ hochwertig, selbstorganisiert und digital erledigt wird, erfordert Aufmerksamkeit und Ressourcen.
Entscheidend für die Weiterentwicklung der positiven Ergebnisse nach der Pandemie ist ein Strukturwandel zum Aufbau vernetzter öffentlicher Organisationen, so dass die #Anpassungsfähigkeit räumlich, rechtlich und technologisch gewährleistet werden kann. Die Front-End-Anpassungen der letzten Monate ziehen Veränderungen in den Back-End-Strukturen der öffentlichen Verwaltung nach sich. Diese strukturellen Veränderungen müssen aktiv gemanagt werden und sich darauf konzentrieren, wie die Ressourcen entsprechend bereitgestellt werden.
Der InnoRec lädt dazu ein, sich selbst als Crew eines Schiffes zu verstehen: D.h. wir sind Teil der Probleme und der Lösungen - der »Personalvielfalt«. Daher ist das Motto »Gemeinsam sind wir besser« von grundlegender Bedeutung, wenn es darum geht, eine Politik für die Zukunft zu entwerfen (#Vertrauen). Der öffentliche Dienst und seine Institutionen sind nicht nur in der Lage, durch offene Meere zu navigieren, sondern auch die Werften, Häfen und Hochwasserschutzanlagen um sie herum massiv zu beeinflussen.
Die COVID-19-Pandemie verdeutlicht, dass Politiker:innen und Entscheidungsträger:innen sich das Mögliche zu eigen machen und #Gestaltungsraum schaffen müssen, um das vermeintlich Unmögliche anzugehen. Weshalb? In schwierigen Zeiten muss Wandel auf unterschiedlichen Ebenen angestoßen und gemeinsam angegangen werden - nicht nur im Umgang mit COVID-19. Dies gilt genauso für Herausforderungen durch den Klimawandel, soziale Ungleichheiten, die digitale Transformation u.a. - alles Herausforderungen, mit denen sich die öffentlichen Verwaltungen und Regierungen jetzt mehr denn je auseinandersetzen müssen.
Deshalb muss auch die Reflexion über vergangene und zukünftige, über erwünschte und unerwünschte Änderungen und was sich daraus lernen lässt, weitergehen. Der Innovations-Rekorder geht in die nächste Runde: https://www.innovationskompass.net/.
Credits
Der Innovations-Rekorder wurde initiiert von Politics for Tomorrow (DE), GovLabAustria (AT), Kompetenzzentrum Öffentliche IT (DE), WITI Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (DE), und verbreitet mit Unterstützung von Next e.V. (DE), CityLAB Berlin (DE), staatslabor (CH), Hochschule Luzern (CH) und Nationales Zentrum für öffentliche Innovation (DK) sowie engagierten Einzelpersonen.
Bei dieser Auswertung der Antworten von Ende Mai bis Mitte Juli 2020 wurden die Autor:innen von Henrike Arlt, Alexander Grünwald, Niels Ulrik Jakobsen und Lene Krogh Jeppesen unterstützt.
[1] In dieser ersten Auswertung betrachten wir den Zeitraum Ende Mai bis Mitte Juli mit einer Gesamtheit von ca. 150 - 300 auswertbaren Antworten - variierend je nach Fragestellung. ↩
[2] Die ersten Ergebnisse mit hoher Relevanz für *alle* öffentlichen Einrichtungen werden gemeinsam von Politics for Tomorrow (P4T), dem Center of Public Innovation of Denmark (COI), GovLabAustria (BMKOES), Fraunhofer Fokus (ÖFIT) und der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften (Universität Speyer) erarbeitet. ↩
Veröffentlicht: 18.01.2021