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Cracking the Code

Cracking the Code

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James Mohun ist Analyst bei Observatory of Public Sector Innovation. Er absolviert seinen Master in Public Policy an der Sciences Po, Paris, wo er ein Emile-Boutmy-Stipendiat ist. James ist einer der Autoren des OCED-Arbeitspapiers »Rules as Code«.

Alex Roberts ist Innovationsspezialist und stellvertretender Leiter des Observatory of Public Sector Innovation. Alex leitet die Arbeit des Observatoriums zu den Innovationssystemen des öffentlichen Sektors. Alex ist einer der Co-Autoren des OCED-Arbeitspapiers »Rules as Code«.

Editors Note: Wie kann zukünftig sichergestellt werden, dass Gesetze mit einem digitalen bzw. (teil)automatisierten Verwaltungsvollzugsprozess kompatibel sind? Hierfür muss der Hebel bereits bei der Entwurfsphase von Gesetzen und Verordnungen angesetzt werden. So lautete eine Kernaussage unseres Impulspapiers »Recht Digital«, in dem wir einige der Voraussetzungen dargestellt haben, die für automationstaugliche Rechtsnormen berücksichtigt werden sollten. Anknüpfend an dieses Papier möchten wir in einer Blogreihe das Themenfeld »Digitales Recht« explorativ in verschiedene Richtung weiter beleuchten.

Ein Überblick über die bisherigen Beiträge dieser Reihe:

  1. Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
  2. Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer
  3. »Better Rules«: Neuseelands Erfahrung mit digitalisierbarem Recht in der Corona-Krise
  4. Recht digital: Schwer verständlich »by Design« und allenfalls teilweise automatisierbar?

Im Jahr 2016 wurde auf Twitter und in der britischen Daily Mail die EU-Verordnung zu Kohl angeprangert:

»Das Vaterunser ist 66 Wörter lang. Die Zehn Gebote: 79 Wörter. Die Abraham Lincolns Gettysburg Address: 272 Wörter. Die EU-Verordnung über den Verkauf von Kohl? 26.911 Wörter.«

Diese Behauptung stellte sich schnell als stark übertrieben heraus. Doch ihre rasante Verbreitung und die Reaktionen darauf verdeutlichen verbreitete Einstellungen zum Recht. Nämlich, dass europäische und nationale Vorschriften unentrinnbar, unüberschaubar und undurchdringlich seien. Zudem, dass fast alle Lebensbereiche verregelt seien (was oft zutrifft). Jenseits verzerrter Wahrnehmungen unterstreicht dies auch, wie relevant Recht, Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung ist.

Rules as Code: Ein neuer Ansatz zur Normsetzung

RaC schlägt vor, zu bestimmten Regierungsvorschriften eine offizielle maschinenlesbare Version zu erlassen, die gleichzeitig mit ihrem menschenlesbaren Gegenstück gilt. Dies erleichtert die technische Umsetzung der Regeln, zieht aber eine Neukonzeption der Gesetzgebungsprozesse nach sich.

Die OECD-Veröffentlichung beschreibt RaC einerseits Prozess, andererseits als Ergebnis des Prozesses. Als Ergebnis meint RaC eine programmiercodeartige Version von Vorschriften, die von einem Computer verstanden und angewandt werden kann. Dies gibt es schon heute in großem Umfang, beispielsweise bei elektronischen Steuererklärungen. RaC kann aber auch als ein strategischer, systematischer und gezielter Ansatz der Regelsetzung verstanden werden. Dabei erlässt der Gesetzgeber gleichzeitig menschen- und maschinenverständliche Versionen der Regeln. Die maschinenverständliche Form würde auch für über eine API-Schnittstelle oder als Software-Bibliothek zur Verwendung durch Dritte zur Verfügung stehen. Dabei verändert sich, wann, wie, von und für wen Regeln gemacht werden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Menschen- und maschinenverständliche Versionen von Vorschriften, Observatory of Public Sector Innovation, OECD

»RaC sieht die Regierung auch als offizielle Quelle digitaler Regeln. Dies bedeutet mehr als nur die Entwicklung eines neuen technischen Ansatzes oder technokratischer »Flicken«. Es geht um einen möglichen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie Regierungen Normen entwerfen, umsetzen und veröffentlichen.«

Die Notwendigkeit von neuen Normen und Normsetzungen

Regierungen agieren in immer komplexeren Zusammenhängen, was die Rechtsetzung heutzutage vor zahllose Herausforderungen stellt. Regelsetzungsprozesse stehen unter Druck, wenn vielschichtige Probleme eine wirkungsvolle, verhältnismäßige und anpassungsfähige Politik erfordern, gleichzeitig aber Vertrauen schwindet. Auch wenn die Normsetzung im Laufe der Zeit Reformen erfahren hat, blieben grundlegende Veränderungen bisher aus. In Folge dessen ist die Normsetzung heute:

  • oft linear und siloartig, was Fehlinterpretation der politischen Absicht oder der Regeln selbst ermöglicht,
  • bestimmte Personen wie Anwälte und Softwareentwickler als Intermediäre positioniert, die Regeln verständlichen machen und in andere Formen übersetzen,
  • nur in menschenlesbarer Form von Regeln verfügbar, die Einzelpersonen, Unternehmen und Regierungen abverlangt, diese Regeln für jedes ihrer technischen Systeme separat zu interpretieren und zu codieren.

Am Wichtigsten ist jedoch, dass der bestehende Normsetzungsprozess kein Format produziert, in dem Maschinen die Regeln sofort verstehen und anwenden können. Durch die Digitalisierung werden Maschinen nun zunehmend wichtiger Adressat staatlicher Normen. Entsprechend sollten staatliche Regeln sowohl für die menschliche als auch die maschinelle Nutzung optimiert werden.

Warum Rules as Code?

RaC verspricht eine Reihe von Vorteilen für Regierungen, Bürger:innen und Unternehmen. Weniger Übersetzungsarbeit reduziert Abweichungen zwischen politischer Absicht und Umsetzung der Normen. Die Entstehung von Regeln und ihre Auswirkungen können transparenter werden. Maschinenverständliche Regeln können zu mehr Konsistenz und Fairness in ihrer Anwendung führen. Indem staatliche Normen als Open Data zugänglich gemacht wird, können Innovationen in Verwaltung und Wirtschaft begünstigt werden. Abbildung 2 fasst die Vorteile zusammen.

Abbildung 2: Mögliche Vorteile einer Herangehensweise mit RaC, Observatory of Public Sector Innovation, OECD

Natürlich steht RaC vor einer Reihe von Herausforderungen, etwa Technologieauswahl, Interoperabilität und Skalierung. Auch die konkrete Umsetzung von RaC ist bedeutend. Der OECD-Innovationsbericht skizziert dazu einige Leitlinien, etwa Transparenz, Rechenschaftspflicht, Angemessenheit und Anfechtbarkeit sowie Sicherheit.

Rules as Code in der Praxis

RaC finden sich auf der ganzen Welt. Der Innovationsbericht stützt sich auf Fallstudien aus Australien, Kanada, Frankreich und Neuseeland. Er greift auch das Impulspapier »Recht Digital - Maschinenverständlich und automatisierbar« des deutschen Kompetenzzentrums für öffentliche IT (ÖFIT) zum Thema maschinenverständlichen Rechts und seinem Einsatz in Deutschland auf. Dort werden unter anderem Fragen zur Standardisierung von Rechtsbegriffen sowie zur Regel- und Umsetzungsmodellierung beleuchtet.

Derzeit entstehen weltweit mehr und mehr RaC-Initiativen im öffentlichen Sektor. In Kanada wurde der Start eines »vollständigen, durchgängigen Rules as Code-Projekts« im Anschluss an die bereits im OECD-Bericht behandelten Piloten bekanntgegeben. Erst kürzlich berichtete die Regierung von New South Wales (Australien), eine »digitale Version der Community Gaming Regulation« mit einem RaC-Ansatz erstellt zu haben.

Zukunftsaussichten

Cracking the Code soll denjenigen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Verwaltung arbeiten, helfen, das Potenzial, aber auch die Grenzen und Auswirkungen von RaC zu verstehen. Es soll klare, verständliche und praktische Ratschläge für diejenigen geben, die darüber nachdenken, wie RaC im öffentlichen Sektor angewendet werden kann. RaC ist ein inspirierendes Konzept, aber es bleibt noch viel auszuprobieren. Wie wir im Innovationsbericht anmerken: »Sicherlich sind signifikante Herausforderungen und Unwägbarkeiten mit RaC verbunden. Aber das transformative Potenzial von RaC scheint ebenso groß.«

Wir hoffen, dass Cracking the Code als Referenz für die zukünftige Nutzung und Entwicklung des Konzepts dienen kann. Wir hoffen, dass sowohl Organisationen des öffentlichen Sektors als auch diejenigen, die sich allgemein für RaC interessieren, den Bericht nützlich finden und er bei ihren Anstrengungen helfen kann, die Regeln für Menschen und Maschinen leichter nutzbar zu machen.

Den vollständigen Bericht (in Englisch und Französisch) sowie ein kürzeres Dokument mit den Highlights finden Sie unter: https://oecd-opsi.org/projects/rulesascode/.


Veröffentlicht: 25.04.2021