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Der lange und beschwerliche Weg zum digitalen Bürgeramt

Kvikk CC BY-SA 3.0

Der lange und beschwerliche Weg zum digitalen Bürgeramt

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Prof. Dr. Sabine Kuhlmann ist Professorin für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates und wurde zum Fellow der amerikanischen National Academy of Public Administration gewählt. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen neben der vergleichenden Verwaltungswissenschaft die Evaluationsforschung, Kommunalforschung, Verwaltungsmodernisierunug und -reformen sowie Dezentralisierung.

Prof. Dr. Jörg Bogumil ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliche Verwaltung, Stadt- und Regionalpolitik an der Ruhr-Universität Bochum. Dort steht die Analyse des Wandels kommunaler und regionaler Politik- und Verwaltungsstrukturen und -prozesse im Zentrum seiner Arbeit.

Moritz Heuberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. Dort promoviert er zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung.

Bürgerämter sind der wichtigste Kontaktpunkt der Verwaltung. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat Fortschritt, Hürden und Sichtweisen der Digitalisierung der deutschen Bürgerämter untersucht.

Bürgerämter: Das war einmal ein Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger, alle Dienstleistungen der Verwaltung an einem Ort in Anspruch zu nehmen – ohne lange Wege, unkompliziert und nutzerfreundlich. Das Konzept Bürgeramt, in der wissenschaftlichen Debatte auch als „one-stop shop“ bekannt, es war ein Paradebeispiel für moderne, bürgernahe Verwaltung – made in Germany. Doch wie steht es um die Bürgerämter heute, im digitalen Zeitalter? Wie digital sind die Leistungen, die von den Bürgerämtern in deutschen Kommunen angeboten werden? Werden die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger erfüllt und sind sie mit dem Angebot zufrieden? Und schließlich: Wie geht es den Mitarbeitenden in den Bürgerämtern mit der Digitalisierung? Sehen sie darin eine Chance auf Entlastung und effizienteres Arbeiten, oder stehen die Nachteile des digitalen Wandels im Vordergrund? Die kommunalen Bürgerämter sind deshalb von großem Interesse, weil sie für die Bürgerinnen und Bürger die wichtigste und häufigste direkte Anlaufstelle bei der öffentlichen Verwaltung sind und oft den „digitalen Erstkontakt“ herstellen. Sie sind somit zentraler Dreh- und Angelpunkt der Verwaltungsdigitalisierung in Kommunalverwaltungen. Bürgerämter existieren inzwischen in nahezu allen deutschen Städten mit über 20.000 Einwohnern.

Über die Studie und ihre Datengrundlage

Im Rahmen einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie wurde eine ausführliche Untersuchung der Situation der Bürgerämter im Allgemeinen und der Digitalisierung im Besonderen vorgenommen. Die gesamte Studie „Bürgerämter in Deutschland: Organisationswandel und digitale Transformation“ ist frei zugänglich im Nomos-Verlag erschienen. Der Teil zur Digitalisierung, auf welchem dieser Text beruht, ist auch separat bei der Hans-Böckler-Stiftung verfügbar.
Im Rahmen der Studie wurde mit einem Methodenmix, der aus einer Kombination von qualitativen und quantitativen Erhebungsverfahren besteht, eine breite empirische Basis gelegt, um – aus verschiedenen Perspektiven – einen fundierten Blick auf die Situation der Bürgerämter zu erhalten. Dabei wurden einerseits mit Fallstudien in Mannheim, Karlsruhe und Freiburg im Breisgau spezifische Erhebungen zum Themenfeld Digitalisierung vorgenommen; andererseits wurde im Rahmen der oben erwähnten umfassenderen Bürgeramtsstudie mithilfe von drei Erhebungsinstrumenten auch Fragen zur Digitalisierung nachgegangen:

  • schriftliche Befragung aller deutschen Kommunen mit über 15.000 Einwohnern (N = 721), im Folgenden als „Verwaltungsbefragung“ bezeichnet,
  • Mitarbeiterbefragungen in zwei Städten (Karlsruhe, Bochum),
  • Bürgerbefragungen in drei Städten (Mannheim, Karlsruhe und Bochum).

Insgesamt konnte mit der Nutzung dieser vielfältigen Erhebungen ein Mehrperspektivenansatz gewährleistet werden, in dem bewusst verschiedene Sichtweisen erhoben wurden, um ein realitätsgerechtes Bild der Digitalisierung im Bürgeramt zu erhalten und eine Validierung der Ergebnisse zu erreichen. Insgesamt war es damit möglich, vier zentrale Perspektiven zu berücksichtigen:

  • die Sichtweise der Organisation, repräsentiert durch die Verwaltungsspitze bzw. das mittlere Management (Bürgeramtsleitung),
  • die Sichtweise der Politik, abgebildet durch Mitglieder der Fraktionen im Stadtrat,
  • die Sichtweise der Mitarbeiter im Bürgeramt, repräsentiert durch Personalvertretungen und Mitarbeitenden,
  • die Sichtweise der Bürgerinnen und Bürger.

Mit dem empirischen Hintergrund (für Details lohnt sich ein Blick in die vollständige Studie) werden im Folgenden die interessantesten Ergebnisse der Studie zusammengefasst, die einen Einblick in den Stand der Digitalisierung der Bürgerämter gewähren.

Niedriger Digitalisierungsgrad der deutschen Bürgerämter

Zunächst ist festzustellen, dass der Zugang zum Bürgerbüro mit 83 Prozent noch immer vor allem physisch erfolgt und der digitale Kontakt mit lediglich 10 Prozent noch hinter dem telefonischen liegt.

Um den (Reife-)Grad der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen und die „Digitalisierungstiefe“ analytisch zu erfassen, erfolgt ein Rückgriff auf verschiedene E-Government-Entwicklungsmodelle, die modellhaft Stufen der Digitalisierungstiefe und damit unterschiedliche „Fortschrittsgrade“ der digitalen Leistungserstellung im Hinblick auf deren Komplexität und Wertschöpfungstiefe abbilden.

Anhand dieses Modells, das zwischen reiner Informationsbereitstellung online, digitaler Kommunikationswege, Transaktion sowie Integration differenziert, werden in Abbildung 4 exemplarisch verschiedene Dienstleistungen von Bürgerämtern dargestellt, deren Digitalisierungstiefe abgefragt wurde. Dabei ist zu erkennen, dass – mit wenigen Ausnahmen – zu knapp drei von vier Dienstleistungen auch online Informationen zur Verfügung gestellt werden. So können die Öffnungszeiten oder Listen benötigter Dokumente für entsprechende Anträge online eingesehen werden. Dass die jeweiligen Dienstleistungen – wenigstens teilweise – online abzuwickeln sind, ist nur in einer Minderheit der Fälle gegeben. Hier werden die Kommunikations- und Transaktionsfunktion zusammengefasst, wenn also beispielsweise Anträge online ausgefüllt werden können, aber am Ende noch ausgedruckt und unterschrieben werden müssen, um dann per Post abgeschickt zu werden. Während hier Werte von im Mittel rund 25 Prozent zu beobachten sind, ist die Beglaubigung von Zeugnissen beispielsweise besonders gering – auch weil hier eine vollständige Abwicklung online allein technisch schwierig ist. Die vollständig integrierte Bereitstellung von Diensten online – ohne Medienbrüche – ist verschwindend gering. Die Beantragung eines Anwohnerparkausweises oder die Anforderung einer Abschrift der Geburtsurkunde lässt sich noch mit neun Prozent in den meisten Bürgerämtern online erledigen. Für alle anderen Dienste sind die Werte aus der Erhebung noch geringer.

Hürden der Digitalisierung

Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die Digitalisierung der Bürgerämter in Deutschland auf einer sehr niedrigen Stufe verharrt und noch immer nicht bedeutend über die Bereitstellung von Informationen im Internet hinaus entwickelt wird. Daraus ergibt sich die Frage woran dies liegen mag – was also mögliche Digitalisierungsbarrieren in den deutschen Bürgerämtern sind. Darauf angesprochen antworteten Mitarbeitende und Führungskräfte in den 22 durchgeführten Experteninterviews, dass rechtliche Hürden – wie die Schriftformerfordernis – und technologische Hürden primär Hindernisse darstellen. Aber auch die Steuerung der Digitalisierung und die Kooperation zwischen Ämtern und politischen Ebenen, Fragen von Personal und Management (Bereitschaft, Weiterbildungen, etc.) sowie finanzielle Aspekte wurden genannt.

Perspektive der Bürgerinnen und Bürger

Anmerkung: n = 1.102 bis 1.115; dargestellt sind die Anteile der Kategorie »sehr wichtig«. Quelle: Bürgerumfrage Karlsruhe (eigene Darstellung)
Bildnachweis: Schwab, Kuhlmann, Bogumil & Gerber 2019

Sicht der Verwaltungsbeschäftigten

Schließlich lohnt es sich auch einen Blick auf die Sicht der Beschäftigten zu werfen. Diese sehen nicht nur positive Aspekte, sondern vor allem auch einen deutlichen Mehraufwand z.B. durch eine Steigerung der Arbeitsbelastung durch ein erhöhtes E-Mail-Aufkommen, die Zunahme der Aufgaben und damit auch eine Verdichtung der Arbeit.

Fazit

Dies sind nur einige, wenige Schlaglichter auf die weit umfassendere Studie, jedoch zeigen sie, dass die Digitalisierung der Bürgerämter – und damit der ersten Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger in der Verwaltung – noch deutlich Luft nach oben hat. Dies beginnt mit dem Umfang der digital verfügbaren (und vollständig online bearbeitbaren) Dienstleistungen und beinhaltet die Erfüllung der Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern. Vor allem aber zeigen die Daten, dass die Digitalisierungsbestrebungen auch den internen Blick in das Back-Office der Verwaltung nicht vernachlässigen dürfen. Die Mitarbeitenden müssen mitgenommen werden, bei ihnen müssen die Vorteile und der Mehrwert spürbar ankommen, denn ohne fähiges und motiviertes Personal wird die Digitalisierung nicht vorankommen.


Veröffentlicht: 17.06.2020