Asset-Herausgeber

Digitaler Nachlass

  Bibliographische Angaben

Digitaler Nachlass

Autorinnen / Autoren:
Gabriele Goldacker
Zuletzt bearbeitet:
Feb 2017
Titel:
Digitaler Nachlass
Trendthema Nummer:
19
Herausgeber:
Kompetenzzentrum Öffentliche IT
Titel der Gesamtausgabe
ÖFIT-Trendschau: Öffentliche Informationstechnologie in der digitalisierten Gesellschaft
Erscheinungsort:
Berlin
Autorinnen und Autoren der Gesamtausgabe:
Mike Weber, Stephan Gauch, Faruch Amini, Tristan Kaiser, Jens Tiemann, Carsten Schmoll, Lutz Henckel, Gabriele Goldacker, Petra Hoepner, Nadja Menz, Maximilian Schmidt, Michael Stemmer, Florian Weigand, Christian Welzel, Jonas Pattberg, Nicole Opiela, Florian Friederici, Jan Gottschick, Jan Dennis Gumz, Fabian Manzke, Rudolf Roth, Dorian Grosch, Maximilian Gahntz, Hannes Wünsche, Simon Sebastian Hunt, Fabian Kirstein, Dunja Nofal, Basanta Thapa, Hüseyin Ugur Sagkal, Dorian Wachsmann, Michael Rothe, Oliver Schmidt, Jens Fromm
URL:
https://www.oeffentliche-it.de/-/digitaler-nachlass
ISBN:
978-3-9816025-2-4
Lizenz:
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (CC BY 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by/3.0 de/legalcode. Bedingung für die Nutzung des Werkes ist die Angabe der Namen der Autoren und Herausgeber.

Je mehr Teile des Lebens digitalisiert werden, desto drängender stellt sich die Frage, wie nach dem Ableben mit den persönlichen Daten umgegangen werden soll. Das Thema betrifft jeden; nicht nur den Datenproduzenten, sondern auch andere Vorhalter solcher Daten respektive Personen, die diese Daten benötigen – von den Erben über Sozialversicherungen bis hin zu Kommunikationspartnern im virtuellen Raum.

Nicht immer sind alle Fragen bereits zu Lebzeiten geklärt

Der auf dem Dachboden des geerbten Häuschens versteckte Familienschmuck bleibt auch über Jahrzehnte unverändert und ließe sich bei systematischer Suche weit früher finden. Ungleich schwerer gestaltet sich die Suche nach einem digitalisierten Pendant zum versteckten Schmuck: digitales Eigentum kann schnell unbrauchbar werden und geistiges Eigentum müssen die Berechtigten erst einmal finden. Nicht immer sind Fragen des digitalen Nachlasses bereits zu Lebzeiten umfänglich geklärt und die Antworten für die Nachwelt verfügbar gemacht. Daraus ergeben sich sehr eigene Anforderungen an die Auffindbarkeit und Verwertbarkeit eines digitalen Erbes. Der digitale Nachlass umfasst mindestens folgende Themengebiete: (1) öffentlich gemachte Daten wie Texte, Bilder und Videos in sozialen Netzwerken, (2) private Daten aus Anwendungen wie E-Mail und Onlinespeicher (siehe Cloud Computing), (3) online verwaltetes Vermögen und online verwaltete Rechtsgeschäfte sowie (4) Nutzungsrechte an Online- Inhalten und anderen elektronischen Objekten.

Für den gesamten digitalen Nachlass gilt, dass Nachlassverwalter und Erben die Gelegenheit haben müssen, von seiner Existenz zu erfahren, auch wenn der Erblasser nicht entsprechend vorgesorgt hat. Für den Erblasser ergibt sich das Problem, sensible Zugangsdaten, die seinen Erben erst nach seinem Tod bekannt werden sollen, sicher, aber für die Berechtigten auffindbar aufzubewahren. Dazu bedarf es eines vertrauenswürdigen Treuhänders und geeigneter technischer Mittel, einen Missbrauch der Daten zu verhindern (siehe Blockchain). Aus staatlicher Sicht müssen Erbschaften nicht nur versteuert werden, es stellt sich zusätzlich die Frage nach dem Hoheitsgebiet des Erbes, das unter Umständen nur digital verteilt verfügbar ist. Auch wäre eine Regelung zur Trennung von Personen- und Vermögensrecht essentiell, wenn es beispielsweise darum geht, nachträglich den Zugang zu Vermögenswerten rechtlich einwandfrei zu sichern.

Begriffliche Verortung

Netzwerkartige Verortung des Themenfeldes
Gesellschaftliche und wissenschaftliche Verortung

Zugang und andere Herausforderungen für die Erben

Bei den persönlichen Daten stellt sich zunächst die Frage, ob der Erblasser seinen Erben einen Zugang dazu ermöglichen möchte. Ist dies nicht eindeutig geregelt, stehen die Erben vor dem Problem, ob sie tatsächlich auf diese eventuell sehr persönlichen und nicht für sie bestimmten Daten zugreifen wollen. E-Mails können aber auch wichtige Informationen zu online verwaltetem Vermögen oder zu online verwalteten Rechtsgeschäften enthalten, ein Profil in sozialen Netzen liefert vielleicht Hinweise auf entsprechende Aktivitäten. Besonders schwierig ist die Frage, ob, in welcher Form und wie lange die Erben beispielsweise ein Profil in einem sozialen Netz aufrechterhalten, aktualisieren oder weitergehend verändern dürfen. Fehlt ihnen dazu der Zugang stellt sich die Frage nach der alternativen Verwendung und Pflege der Daten. Welche Daten müssen wann vom Anbieter gelöscht werden und welche technischen Anforderungen richten sich an einen solchen digitalen Radiergummi? Facebook hat hierauf reagiert und erlaubt die Angabe eines Nachlasskontaktes, der das Profil in eingeschränkter Form weiter pflegen kann. Welche Folgen das Weiterleben einer digitalen Identität für die Trauerarbeit der Hinterbliebenen hat, bleibt abzuwarten.

Online verwaltetes Vermögen geht in das Eigentum der Erben über, diese treten auch in nicht abgeschlossene online verwaltete Rechtsgeschäfte ein. Erben müssen möglichst schnell von der Existenz solcher Teile eines Nachlasses erfahren, um etwaige Fristen einhalten zu können. Bei Nutzungsrechten an Online-Inhalten und lokal gespeicherten elektronischen Objekten gibt es generellen Handlungsbedarf: Manche Anbieter gewähren zwar zeitlich unbegrenzte Nutzungsrechte, sehen aber keine Vererbung derselben vor. Kunden ist oft aber nicht klar, dass sich ihre digitale Plattensammlung nach ihrem Ableben in Luft auflöst. Die Erben erhalten dann keine Zugangsdaten zu den Inhalten und Objekten. Langfristig könnten sich daraus Umverteilungseffekte durch die Nichtweitergabe von Vermögen ergeben. Kurz- und mittelfristig ergeben sich daraus schwergewichtige Herausforderungen, wenn beispielsweise zur Fortführung eines Unternehmens individuell für den Erblasser lizensierte Software erforderlich ist.

Themenkonjunkturen

Suchanfragen und Zugriffe auf Wikipedia-Artikel
Wissenschaftliche Publikationen und Patentanmeldungen

Folgenabschätzung

Möglichkeiten

  • Nutzung angemessener digitaler Lösungen zur Regelung nicht nur des digitalen Nachlasses
  • Anstoß zur expliziten und detaillierten Regelung der letzten Dinge durch wahrgenommene Rechtsunsicherheit
  • Angebot neuartiger Lösungen zur einfachen Regelung letzter Angelegenheiten
  • Anstoß zur Neuregelung von Nutzungsrechten und digitalem Eigentum
  • Neue Formen der Trauer bei dauerhafter digitaler Identität Verstorbener

Wagnisse

  • Unauffindbarkeit von Teilen des Erbes
  • Herausforderungen an Datenschutz, Datensicherheit und Datenauthentizität
  • Unangemessene Vorsorge des Erblassers erschwert das Antreten des Erbes
  • Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von digitalem Eigentum
  • Konfrontation der Erben mit einer umfassenden Abbildung des Lebens des Verstorbenen
     

Handlungsräume

Erbrecht

Das Erbrecht muss daran angepasst werden, dass zunehmende Teile von Erbmassen Rechte an elektronisch gespeicherten Objekten sein werden. Anderenfalls drohen Vermögensverluste für die Erben und damit mittelbar Verluste für die öffentliche Hand (Erbschaftssteuer). Ebenso müssen die Auskunftsrechte von Erben gegenüber Einrichtungen wie Banken bei bloßer Vermutung einer Geschäftsbeziehung klar geregelt werden.

Persönlichkeitsrecht

Das Persönlichkeitsrecht benötigt klare Regeln, wer welche Rechte an dem Teil des Nachlasses einer Person hat, der das Privatleben und die Selbstdarstellung der Person betrifft, und wie beim Zusammentreffen verschiedener Rollen (z. B. Privatperson und Arbeitnehmer) zu verfahren ist. Hierzu bedarf es gesetzlicher Regelungen für Anbieter von digitalen Diensten, wie mit öffentlich gemachten und privaten Daten von Verstorbenen verfahren werden muss, um beispielsweise anbieterseitig erzeugte Avatare zu verhindern.

Notarielles

Für digitale Erbschaftslösungen bedarf es sowohl der entsprechenden technischen Kompetenz von Notaren, als auch der funktionalen Äquivalente zu diesen Einrichtungen. Ob letztere berufsständisch organisiert sein müssen, ist dabei eine offene Frage.

Haftung der Dienstleister

Es bedarf Regelungen zur Haftung von Dienstleistern für erbrechtlich relevante Inhalte und Zugänge, die auch beinhalten muss, was im Falle der Insolvenz oder eines anderen Ausscheidens des Dienstleisters vom Markt mit den Daten der Erblasser zu geschehen hat.