Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen
von Viktoria Herold
Viktoria Herold, Dr. iur., war von 2017 bis 2019 aktives Mitglied im interdisziplinären Promotionskolleg »Digitales Recht« der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg. Sie forschte und publizierte hauptsächlich im Bereich Verwaltungsautomatisierung/Rechtsinformatik/Verfassungsrecht. Im Jahr 2020 erschien ihre Dissertation »Demokratische Legitimation automatisiert erlassener Verwaltungsakte«.
Vater Staat hat es in Sachen Digitalisierung nicht leicht: Während die Wissenschaft über die Möglichkeit des Einsatzes Künstlicher Intelligenz im Ermessensbereich diskutiert, ist in der Öffentlichen Verwaltung bereits die medienbruchfreie und/oder automatisierte Bearbeitung von Standardfällen in Massenverfahren nicht flächendeckend gewährleistet. Gerade diese bieten sich aufgrund ihres gehäuften Auftretens in sehr ähnlicher Gestalt jedoch für die maschinelle Bearbeitung an - man denke an Fälle im Bereich des Sozialrechts wie die Gewährung von Sozialhilfe, oder klassisch die Steuerverwaltung. Die Einführung von - in engen Grenzen zulässigen, vgl. §35 a VwVfG - vollständig automatisiert erlassenen Verwaltungsakten ab 2017 [1] war ein Schritt in die richtige Richtung. Doch der Gesetzgeber kann mehr tun, um der Öffentlichen Verwaltung unter die Arme zu greifen.
Das Dilemma der Vollzugsautomatisierung: Erlaubt, aber häufig nicht möglich
Mit der Einführung vollständig automatisiert erlassener Verwaltungsakte hat der Gesetzgeber nämlich nur einen Teil des Problems angesprochen: Lässt sich das in natürlicher Sprache formulierte Gesetz in Programmiersprachen adäquat abbilden, ist der automatisierte Vollzug nun erlaubt. Doch zu der Frage, wie die technische Abbildbarkeit gewährleistet werden kann - natürliche und formale Sprachen unterscheiden sich ganz erheblich - schweigt das Gesetz. Das ist bislang ein Problem, mit dem sich vornehmlich die Verwaltung auseinandersetzen muss. Das führt zu dem Folgeproblem, dass ihre technische Umsetzung eines Gesetzes zu Defiziten der demokratischen Legitimation führen kann: Inwieweit eine Norm automatisierbar ist, lässt sich in vielen Fällen unmittelbar an ihrem Wortlaut ablesen. Eine zweideutige oder gar eindeutig widersprüchliche Syntax, unbestimmte Rechtsbegriffe, vage Formulierungen, wo es solcher im Grunde nicht bedarf - eine derartige sprachliche Gestaltung von Gesetzen stürzt die Verwaltung in ein Dilemma: Will sie Vollzugsdefizite in Standard- und Massenverfahren vermeiden, bietet bisweilen nur die (Teil-)automatisierung einen Ausweg. Lässt die Norm die Automatisierung jedoch nach ihrer sprachlichen Gestaltung nicht zu, wird fortan ein Sachverhalt nicht in Anwendung eines Gesetzes, sondern durch einen Algorithmus entschieden. Aus Legitimations- und auch Rechtsstaatlichkeitsgesichtspunkten bedeutete das einen untragbaren Zustand.
Als Lösung des Problems ist zu Recht die sog. »automationsgerechte Gesetzgebung« in den Fokus gerückt. Denn wenn der Gesetzgeber Normen fortan »digital ready« ausgestaltet, hat die Verwaltung es leichter in Sachen Automatisierung.
Automationsfreundlich vs. automationsgerecht: Automatisierung als Vollzugsoption
Der Gesetzgeber bewegt sich hierbei gleichwohl in einem Spannungsfeld: Aus Gründen der Gewaltenteilung darf der Gesetzgeber der Verwaltung ihre Entscheidungsmacht nicht vollständig entziehen.[2] Denn dann verbliebe der Öffentlichen Verwaltung kein Funktionsbereich - sie verkümmerte zum Warenautomaten des Bürgers.
Gesetze sollten folglich automationsfreundlich sein, nicht automationsgerecht - der Verwaltung soll die Möglichkeit des automatisierten Vollzugs erleichtert werden, ihr die Automatisierung fortan als leicht(er) zugängliche Vollzugsoption[3] zur Verfügung stehen. Nicht jedoch soll der Gesetzgeber fortan Gesetze als unabänderliche Computerprogramme schreiben, von welchen die Verwaltung nicht abweichen darf. Der Gesetzgeber entwickelt fortan Software für die Verwaltung, die diese installiert - das klingt befremdlich. Es wäre auch aus Gründen der Gewaltenteilung verfassungsrechtlich unzulässig - und wenig bürgerfreundlich, denn ein effektiver Rechtsschutz ließe sich dann auch nur mit Informatikern auf der Richterbank gewährleisten.
Will der Gesetzgeber an der Automationsfreundlichkeit von Gesetzen etwas ändern, ohne die vorgenannten Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen zu überschreiten, bieten sich folgende Schritte an:
[1] BGBl. I 2016, 1697ff. ↩
[2] Treffend insoweit Fadavian, in: Mohabbat Kar/ Thapa/ Parycek (Hrsg.), (Un)berechenbar? Algorithmen und Automatisierung in Staat und Gesellschaft, 2018, 294 (309): »Gäbe es nämlich die eine – und nur die eine – richtige Entscheidung, die auf Basis datengetriebener Analysen mit absoluter Sicherheit richtig getroffen werden könnte: Wozu bräuchte es dann eine sich gegenseitig kontrollierende Teilung der Gewalten? Es gäbe ja schlechthin nichts zu kontrollieren, da ja alles stimmte.«. ↩
[3] so bereits Kube, VVDStRL 78 (2019), 316. ↩
[4] Lesenswert hierzu Reimer, Der Einfluss der Digitalisierung auf die Rechtsetzung, in: Hey (Hrsg.), Digitalisierung im Steuerrecht, 2019, 97 (115). ↩
Veröffentlicht: 25.09.2020