Gemeinsam stark: Potenziale der interkommunalen Zusammenarbeit für die Verwaltungsmodernisierung
Gemeinsam stark: Potenziale der interkommunalen Zusammenarbeit für die Verwaltungsmodernisierung
Gastbeitrag von Dr. Gerhard Kussel und Sandra Pavleka
Dr. Gerhard Kussel und Sandra Pavleka sind bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V. im Programmbereich Rahmenbedingungen für Innovationen tätig. Im Projekt Innovationssystem Deutschland erarbeiten sie in verschiedenen Fokusthemen Handlungsoptionen für eine innovationsfördernde und wohlfahrtssteigernde politische Rahmensetzung. Die zuletzt im Projekt veröffentlichte Studie beleuchtet Möglichkeiten, Effizienz und Agilität der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen. Im Rahmen der Studie wurden administrative Daten und vorhandene Befragungen mit Erkenntnissen aus qualitativen Interviews mit verschiedenen Stakeholdern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung zusammengeführt und darauf basierend politische Handlungsoptionen formuliert.
Der Umsetzungsstand der Verwaltungsdigitalisierung zeigt auf kommunaler Ebene erheblichen Handlungsbedarf auf. Mit der Digitalisierung von Verwaltungsabläufen steigt auch die Relevanz innovativer Lösungen. Die Beschaffung solch innovativer Angebote erfordert jedoch teils Kompetenzen und Prozesse, die in vielen Verwaltungen kaum vorhanden sind. Redundante Einzelbestrebungen der Kommunalverwaltungen binden diese knappen Ressourcen und Kompetenzen. Die Vernetzung und Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene im Rahmen der Beschaffung digitaler Lösungen ermöglichen, durch Synergie- und Skaleneffekte bessere Ergebnisse zu erzielen. Im Folgenden werden basierend auf Inhalten aus der veröffentlichten acatech Studie zur öffentlichen Verwaltung Potenziale der interkommunalen Zusammenarbeit dargelegt.
Synergie- und Skaleneffekte für die Verwaltungsdigitalisierung nutzen
Eine flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung ist für eine effiziente öffentliche Verwaltung unabdingbar. Das föderale System erschwert allerdings ein dynamisches und einheitliches Vorgehen der verschiedenen Akteure bei diesem Vorhaben. Der IT-Planungsrat hat hierfür zwar Rahmenbedingungen für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsebenen per Grundgesetz geschaffen, gleichwohl zeigt der Umsetzungsstand des Onlinezugangsgesetzes, dass die Verwaltungsdigitalisierung weiterhin kein Selbstläufer ist. Insbesondere die rund 11.000 Gemeinden auf kommunaler Ebene zeigen Schwierigkeiten, die durch Bund und Länder beschlossenen Vorhaben zu realisieren. Einer gemeinsamen Befragung des Instituts für Innovation und Technik (iit) und des Deutschen Städte- und Gemeindebunds zufolge schätzen nur 23 Prozent der Kommunen den Digitalisierungsstand ihrer Verwaltung als gut ein.
Die kommunale Selbstverwaltung, die Kommunen die eigenverantwortliche Umsetzung der Beschlüsse von Bund und Länder gewährt, benötigt einheitliche Leitplanken, um kostspielige und inkompatible Parallelentwicklungen und lokale Pfadabhängigkeiten zu vermeiden. Uneinheitliche Standards erschweren die Herstellung der Interoperabilität zwischen den verschiedenen Komponenten und verhindern die Nutzung von Synergieeffekten. Daneben fehlt es vielen Kommunen an der erforderlichen Größe, um zentrale Digitalisierungsprojekte oder komplexe Strukturänderungen zielgerichtet umzusetzen. Große Gebietskörperschaften können spezialisierte Stabsstellen, zum Beispiel für Digitalisierung oder Beschaffung, einrichten und den Projekten so eine strategische Dimension geben, die in kleineren Kommunen aufgrund unzureichender Ressourcen kaum erreichbar ist. Um die flächendeckende Verfügbarkeit digitaler Verwaltungsangebote auf kommunaler Ebene zu beschleunigen und dabei koordiniert vorzugehen, empfiehlt sich eine verstärkte Vernetzung und Kollaboration zwischen Kommunen.
Kompetenzen und Ressourcen auf kommunaler Ebene bündeln, Handlungsmöglichkeiten für die Verwaltungsdigitalisierung vergrößern
Die interkommunale Zusammenarbeit auf horizontaler Ebene bündelt Kompetenzen und Ressourcen, wodurch eine wirtschaftlichere Aufgabenerfüllung umgesetzt werden kann. Die verstärkte Vernetzung und Kollaboration auf kommunaler Ebene stellt, insbesondere für kleinere Gemeinden mit begrenzten Ressourcen, einen Hebel dar, um Verbundvorteile bei der Umsetzung der Digitalisierungsbestrebungen zu erzielen. Dabei können sich mehrere Kommunen zusammenschließen, um Leistungen, wie die Digitalisierung von Verwaltungsabläufen, gemeinsam zu erbringen. Alternativ kann ein Zusammenschluss die Leistungserbringung gemeinsam an Dritte auslagern. Im Kreis Soest haben sich 13 Kommunen zur Entwicklung einheitlicher digitaler Verfahrensabläufe zusammengeschlossen, um die Verwaltungsdigitalisierung voranzutreiben und um Schnittstellenprobleme zwischen verschiedenen IT-Systemen zu reduzieren. Solche Erfolgsgeschichten hängen jedoch vielfach an besonders engagierten Einzelpersonen. Damit eine Vernetzung nicht allein von Bestrebungen einzelner Akteure abhängt, werden Vermittler oder Plattformen benötigt, die eine Vernetzung strukturell fördern. So sollten Online-Portale wie Interkommunales.NRW, die einen Überblick über interkommunale Projekte geben und eine themenspezifische Vernetzung ermöglichen, verstärkt angeboten und genutzt werden.
Beschaffungseinheiten als Treiber innovativer digitaler Verwaltungslösungen
Das Effizienz- und Innovationspotenzial neuer GovTech-Lösungen lässt sich nur ausschöpfen, sofern ein Bewusstsein für eine strategische Beschaffung als Enabler der Innovationsfähigkeit der Verwaltung vorliegt. Der Beschaffungseinheit kommt daher eine entscheidende Rolle dabei zu, innovative digitale Verwaltungslösungen in die Anwendung zu bringen.
Die strategische Relevanz der Beschaffung für die Verwaltungsmodernisierung wird bisher jedoch nur unzureichend erkannt. Die Beschaffungsabläufe sind häufig eher darauf ausgerichtet, auf operative Bedarfe zu reagieren, als die Beschaffungen mit strategischen Zielen zu verknüpfen. Das zeigt sich exemplarisch an der häufig gewählten Beschaffungsform der Rahmenverträge, die für wiederkehrende Einkäufe zwar sinnvoll sind, aber aufgrund unflexibler und langwieriger Vertragskonstellationen die Beschaffung neuer Lösungen am Markt erschweren. Dynamische Beschaffungssysteme stellen eine flexiblere und innovationsfreundlichere Alternative zu Rahmenverträgen dar.
Innovative Lösungen erfordern Dynamik und Flexibilität bei der Beschaffung, die über die gängigen Beschaffungsverfahren hinausgehen. Eine beschaffungsbezogene Markterkundung vor Beginn eines Vergabeverfahrens unterstützt dabei, Informationen zu Anforderungen und Zielen eines Produktes oder einer Dienstleistung durch den Dialog mit verschiedenen Anbietern zu sammeln. Die dadurch erlangte Marktkenntnis kann bei der Erstellung einer funktionalen Leistungsbeschreibung hilfreich sein, die, anders als ein detaillierter Leistungskatalog, den Fokus auf den Zweck und auf die Anforderungen eines Produktes oder einer Dienstleistung legt. Damit wird bei Vergabeverfahren der Raum für innovative Lösungsvorschläge, zum Beispiel Cloud-Angebote bei der Soft- und Hardwarebeschaffung, geöffnet.
Eine strategische Perspektive auf Beschaffungsverfahren einzunehmen, bedeutet auch, bei der Vergabe nicht nur den Preis als einziges Vergabekriterium heranzuziehen. Die rechtliche Grundlage im Vergaberecht liegt bereits seit 2014 mit der reformierten EU-Richtlinie zur öffentlichen Auftragsvergabe vor und gibt vor, bei der Beschaffung statt des günstigsten das wirtschaftlichste Angebot zu nehmen. Dadurch weiten sich die Möglichkeiten für Beschaffungseinheiten innovativere Produkte oder Dienstleistungen zu beziehen, die oftmals kostspieliger sind.
Ermöglichung einer strategischen Beschaffung über interkommunale Kooperationen
Mit der steigenden Verfügbarkeit innovativer Verwaltungslösungen und den erweiterten Möglichkeiten zur Gestaltung der Vergabeverfahren geht ein größerer Weiterbildungsbedarf bei den Beschaffungseinheiten einher. Vor allem kleinere Kommunen verfügen oftmals nicht über ausreichend Ressourcen und Kompetenzen, die beispielsweise für eine beschaffungsbezogene tiefgehende Markterkundung erforderlich wären. Dies gilt insbesondere für nicht regelmäßige, komplexe Anschaffungen, wie etwa von Cloud-Computing-Lösungen, die für die flächendeckende Verwaltungsdigitalisierung aber große Potenziale bergen. Das Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO) bietet kostenfreie Leitfäden, Workshops und Lernangebote zum Thema innovative öffentliche Beschaffung für öffentliche Auftraggeber und Unternehmen an.
Auswahl an Aspekten zum Aufbau einer innovationsfördernden strategischen Beschaffung:
- Beschaffung mit strategischen Zielen verknüpfen
- Innovative Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren anwenden
- Qualitätsmerkmale als Vergabekriterien hinzuziehen
- Funktionale Leistungsbeschreibungen erstellen
- Ausbau der Kompetenzen der Beschäftigten der Beschaffungseinheiten um innovationsfördernde strategische Aspekte der Beschaffung
Durch die Bündelung vorliegender personeller und finanzieller Ressourcen im Rahmen interkommunaler Kooperationen können auch kleinere Kommunen eine strategische Perspektive innerhalb ihrer Beschaffungsaktivitäten einnehmen. Dabei können sich Kommunen beispielsweise im Sinne eines Shared-Service-Centers zusammenschließen, um gemeinsam zu beschaffen oder die Beschaffung gemeinsam an Dritte auszulagern. Bei der ProVitako haben sich kommunale IT-Dienstleister in einer Genossenschaft zusammengetan, um gemeinsam Dienstleistungen zu beziehen und durch Skaleneffekte bessere Einkaufskonditionen zu erzielen. Gleichzeitig trägt die gemeinsame Erstellung von Leistungsbeschreibungen zu einer verstärkten Harmonisierung der IT-Infrastruktur der Kommunen bei.
Interkommunale Zusammenarbeit erhöht die Leistungsfähigkeit der Verwaltung
Die interkommunale Zusammenarbeit ist eine wirksame Möglichkeit, um mit den vorhandenen Mitteln Ergebnisse zu erzielen, die ohne einen Zusammenschluss aufgrund mangelnder Ressourcen oder Kompetenzen nicht oder nur sehr mühsam zu realisieren wären. Kooperationen im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung tragen durch Skalen- und Synergieeffekte zur flächendeckenden Verfügbarkeit digitaler Verwaltungsleistungen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen im Sinne des Onlinezugangsgesetzes bei. Darüber hinaus schafft die Vernetzung Effizienzgewinne innerhalb der Verwaltung, welche deren Leistungsfähigkeit insgesamt erhöhen und so das Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat stärken.
Die Studie »Innovationssystem Deutschland – Effizienz und Agilität der öffentlichen Verwaltung erhöhen« kann hier eingesehen werden.
Weiterführendes von ÖFIT:
Erfolgreiche Innovationsfellowships in der Verwaltung umsetzen
Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung hin zu agilen und nutzerzentrierten Arbeitsweisen kann u.a. durch die Teilnahme an Innovationsfellowships erreicht werden. Diese Veröffentlichung beschreibt wie Innovationsfellowships erfolgreich umgesetzt werden können. Dazu werden zehn Handlungsempfehlungen beschrieben, die Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung dabei unterstützen. Für die Planung der Innovationsfellowships ist es wichtig, die benötigten Ressourcen frühzeitig bereitzustellen, Unterstützung von den Leitungsebenen sicherzustellen und die technische Infrastruktur der Behörde zu berücksichtigen. Bei der Durchführung der Fellowships kommt es darauf an, Möglichkeiten für einen Kompetenztransfer zu schaffen und das Rollenverständnis der Beteiligten früh zu klären.
Aktionsplan für eine verstärkte Zusammenarbeit von Civic Tech, GovTech und Verwaltung
GovTech-Start-ups und Civic Tech-Organisationen finden sich trotz des Innovationspotenzials oft nicht mit der öffentlichen Verwaltung zusammen. In einem ÖFIT-Workshop wurden vier zentrale Herausforderungen für die Zusammenarbeit identifiziert: Mindset, Priorisierung von Zuständigkeiten, Standards und schwierige Vergabeverfahren. Dieser Aktionsplan stellt einige Lösungsansätze und politische Forderungen vor, die gemeinsam mit den Expert:innen des Workshops entwickelt wurden und die verstärkte Vernetzung von GovTech, Civic Tech und der öffentlichen Verwaltung fördern.
Von der Digitalisierung zur Automatisierung des Verwaltungsverfahrens
Die digitale Transformation schreitet voran und inzwischen begegnen uns digitale Lösungen in allen Lebensbereichen. So scheint es nur logisch, dass diese Transformationsprozesse der Digitalisierung bis hin zur Automatisierung auch etablierte rechtliche Strukturen und Gesetze berühren und verändern. Neben der wichtigen Aufgabe einer materiellen Ausgestaltung eines gesetzlichen Rahmens steht jedoch auch die Rechtssetzung und -anwendung selbst vor Herausforderungen. Denn auch an diesen Bereich werden durch die technologischen Möglichkeiten neue Ansprüche gestellt. Die in Zusammenarbeit mit Prof. Thorsten Siegel von der Freien Universität Berlin entstandene Publikation widmet sich diesen Ansprüchen und Herausforderungen im Verwaltungskontext aus technischer und rechtlicher Perspektive.
Veröffentlicht: 06.11.2024