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Ausblick: Richtungszeig für den digitalen Staat

 

Ausblick: Richtungszeig für den digitalen Staat

von Basanta Thapa und Resa Mohabbat Kar

Editor's Note: Das Infotool Familie ist ein Web-Angebot des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), mit dem Eltern anhand einiger Angaben über ihre Familie herausfinden können, welche Familienleistungen ihnen möglicherweise zustehen. Wir stellen das Infotool selbst, seine Entstehung und seine Bedeutung für die digitale Verwaltung in einer Blog-Reihe vor. Hierfür haben wir mit Vertreter:innen des BMFSFJ und den für die Entwicklung des Tools verantwortlichen Dienstleistern ausführliche Interviews geführt sowie eine Reihe von Dokumenten ausgewertet, die uns für die Fallstudie zur Verfügung gestellt wurden.

Hier ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe:

  1. Das Infotool Familie — was kann es, was tut es, wie funktioniert es?
  2. Technische Entstehung & Umsetzung: Die digitale Logik der Gesetze
  3. Das Projekt Infotool: Politischer Kontext und Entstehungsgeschichte
  4. Ausblick: Richtungszeig für den digitalen Staat

Welche Entwicklungschancen zeigt das Infotool Familie für die Digitalisierung des Staates auf? Nachdem wir uns bisher den Funktionen und der Entstehung des Web-Angebotes gewidmet haben, wagen wir nun einen Ausblick.

Bisherige Resonanz

Das Infotool Familie hat seit August 2017 vorwiegend positive Rückmeldungen erhalten, insbesondere von Multiplikator:innen wie Familienberatungsstellen, die das Tool in ihrer Arbeit einsetzen. Dass diese Institutionen den Mehrwert des Infotools erkennen, zeigen die vielen Erweiterungswünsche, die an das Team herangetragen werden: Einzelne Familienleistungen, aber auch das gesamte Feld der Leistungen für Menschen mit Behinderungen wurden bereits als Wünsche genannt.

Front-End: Bürgerzentrierte Verwaltung

Welche potenziellen Entwicklungspfade drängen sich für das Infotool – neben der Ergänzung weiterer Leistungen – auf? Welche Szenarien der Weiterentwicklung und Integration in bestehende, übergreifende Digitalisierungsmaßnahmen wären prinzipiell denkbar? Insbesondere die Bürgerzentriertheit des Front-Ends – also der den Bürger:innen zugewandten Seite der Anwendung – könnte weitergeführt werden. Das Infotool prüft von Nutzer:innen eingegebene Sachverhaltsdaten gegen das digital aufbereitete Regelwerk der Anspruchsvoraussetzungen, um mögliche Anspruchsberechtigungen zu ermitteln. Die tatsächliche Antragsstellung auf dieser Grundlage wäre ein naheliegender nächster Schritt, der auch dem Team des Infotools nicht entgangen ist. So wurde beispielsweise mit Blick auf die Entwicklung des digitalen Antrags zu „Elterngeld digital" die direkte Verknüpfung mit Weiterleitung der Angaben aus dem Infotool Familie als ein mögliches Szenario erkannt und diskutiert. Aufgrund der technischen Komplexität, der rechtlichen Rahmenbedingungen und der für solche Vorhaben üblicherweise erforderlichen aufwändigen Koordinationsarbeit war es jedoch ebenso naheliegend, das Infotool Familie erstmal als Informationsangebot zu konzipieren und damit den ersten, einfachen Schritt zu gehen.

Diese Überlegung weist aber in Richtung Onlinezugangsgesetz und der technischen Komponenten, die in seinem Rahmen entwickelt werden. So könnte eine Verknüpfung des Infotools mit dem E-Government-Portalverbund gemäß Onlinezugangsgesetz eben jene Antragstellung aus dem Infotool heraus ermöglichen. Hierzu böte sich beispielsweise eine Anbindung an das Bürgerkonto zur persönlichen Identifikation der Antragstellenden an. Gleichzeitig bietet das Bürgerkonto die Möglichkeit, bereits vorliegende Daten zur Antragstellenden und ihrer Familie automatisch in das Infotool zu importieren, also den Fragebogen soweit wie möglich vorauszufüllen. Dies folgt der Logik des Once-only-Prinzips, nachdem der Staat Daten nicht mehrfach von den Bürgern erfragen soll. Indem Detaildaten, beispielsweise exakte Einkommensinformationen, aus dem Bürgerkonto genutzt werden, könnte das Infotool nicht nur „voraussichtliche Anspruchsberechtigungen" anzeigen, sondern tatsächliche Ansprüche inklusive der Berechnung von Leistungshöhen und Ähnlichem ermitteln.

Weitergedacht könnte das Infotool bei einer solchen Integration mit dem Bürgerkonto auch als proaktive, automatische Anspruchsprüfung fungieren, die selbsttätig Bürger:innen auf vorliegende Ansprüche hinweist und mit nur einem Klick beantragen lässt. Derzeit gibt es noch keine Schnittstellen zwischen Infotool und elektronischen Anträgen, sondern nur einfache Verlinkungen. Mit der zunehmenden Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes tun sich hier aber sicherlich neue Möglichkeiten auf. Derzeit diskutiert das Team des Infotools aktiv Eingabemöglichkeiten via Chatbot, insbesondere Sprachassistenten. Durch das schlanke Design des Fragebogens eignet sich dieser durchaus für eine Sprachsteuerung.

Back-End: Digitaltaugliches Recht

Das wichtigste Element unter der Motorhaube des Infotools sind die Parameterlisten. Mit ihnen wurden die gesetzlichen Regeln zu den Familienleistungen auf die entscheidungsrelevanten Kriterien heruntergebrochen, die sich digital abbilden lassen. Die nachträgliche Übersetzung der rechtlichen Vorschriften in eine digitale Logik ist jedoch - wie die Arbeiten rund um das Infotool veranschaulichen - ein sehr aufwendiger Prozess. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Entscheidungsregeln von Gesetzen in üblicherweise komplizierten Rechtstexten eingebettet sind. Diese Regeln gilt es erst einmal freizulegen und insbesondere auch in ihrem Zusammenwirken zu bewerten. Für Nicht-Jurist:innen ist das eine Herausforderung. In die Übersetzungsarbeit können sich darüber hinaus Fehler einschleichen, und das Resultat ist nur umständlich aktuell zu halten – Gesetzesänderungen müssen immer wieder im digitalen Regelwerk abgebildet werden.

Betrachtet man den Entstehungsprozess von Gesetzen, lässt sich feststellen, dass bei der Formulierung von Rechtsnormen ihre spätere Weiterverarbeitung bzw. Umsetzung mit digitalen Systemen aktuell nicht mitgedacht wird. Die Herausforderungen, die sich hieraus bei der Übersetzung ins Digitale ergeben, bringt ein Programmierer des Infotools folgendermaßen auf den Punkt:

„Wir haben es immer wieder mit unterschiedlichsten Ausgangsquellen zu tun, die wir in ein Digitalsystem abbilden müssen. Gesetzestexte sind eine besonders sperrige Ausgangsquelle. Ihre Logik liegt verklausuliert in Texten. Die spannende Erkenntnis war, dass man das meiste am Ende des Tages in Einzelbausteine aufsplitten, strukturieren und digital abbilden kann. Meine Empfehlung als Programmierer wäre, dass, was wir gemacht haben – also Texte aufzuschlüsseln und die Logik digital abbildbar zu machen – gemeinsam mit Juristen gemacht werden sollte. Eine Neuentwicklung eines Gesetzes könnte dort ansetzen, wo wir mit unserem Endresultat rausgekommen sind, also bei einer eindeutigen, digital abbildbaren Logik mit klaren Parametern. Danach kann man es ja in Textbausteine übersetzen. Dann hätte man eine Grundlage, die einfacher verständlich und digital verarbeitbar ist. Es ist aber auch klar: Das geht nicht immer bei allen Gesetzen."

Vollzugsrelevante Gesetze des öffentlichen Rechts von vornherein auch maschinenverständlich zu formulieren, hat unter anderem das Kompetenzzentrum Öffentliche IT im Jahr 2019 vorgeschlagen. Hierfür kommt es zum Beispiel darauf an, die entscheidungsrelevanten Kriterien von Rechtsvorschriften mit eindeutigen Werten bzw. Wertebereichen zu versehen, um sie in Softwarecode abbildbar und automatisiert anwendbar zu machen. Die Programmierer des Infotools sehen darin einen wichtigen Hebel, um solche Angebote wie das Infotool deutlich einfacher zu ermöglichen: „Sollten die Gesetzesgrundlagen in einer maschinenlesbaren Form und einer einheitlichen Logik vorliegen, würde sich der Aufwand, eine Leistung in das Infotool zu bringen, signifikant verringern. Im Grunde wird derzeit ein Reverse Engineering der Leistung bzw. der Gesetzesgrundlage hierzu gemacht, um eben dies zu erreichen: ein auf wenige Parameter umrissenes Logikkonstrukt. Wären Gesetze einheitlich bereits in eine gleichartige Form gebracht, so könnte man die für eine Leistung relevanten Teile direkt oder mit geringem Transformationsaufwand verwenden, um auf ein Zutreffen der eingestellten Parameter für die gegebenen Werte zu prüfen."

Maschinenverständliche rechtliche Vorschriften könnten die Grundlage für Innovationsschübe bilden, die sowohl nach innen – Richtung verwaltungsinterner Prozesse – als auch nach außen – Richtung Bürger:innen und Unternehmen – wirken können. Ausgehend von digital abgebildeten Regeln wären Verfahrensinnovationen, neue Möglichkeiten der Leistungserbringung und digitale Anwendungen für Normadressaten nur „wenige Clicks" entfernt. Habe ich als arbeitssuchende Person Anspruch auf eine bestimmte Leistung? Wie ist die konkrete Anspruchshöhe? Von welchen Berichtspflichten bin ich als Unternehmensgründer:in im Gaststättengewerbe betroffen? Mit wenig Aufwand könnten innovative digitale Anwendungen produziert werden, um die Informationsbedarfe verschiedener Anspruchsgruppen einzelfallbezogen zu adressieren. Vom Staat veröffentlichte maschinenverständliche Gesetze können darüber hinaus in verwaltungsinterne IT-Systeme implementiert werden und somit die Grundlage für die Automatisierung der IT-basierten Fallbearbeitung bilden. Jenseits von Schnelligkeit und Effizienz von Verwaltungsverfahren ergibt sich hierdurch insbesondere das Potenzial zur konsistenten Rechtsanwendung über Behörden hinweg.

Würden maschinenverständliche gesetzliche Regelungen auch über eine öffentliche Schnittstelle zur Verfügung gestellt, könnten verschiedenste öffentliche Angebote wie z. B. das Infotool, aber auch Unternehmen diese ohne Übersetzungsfehler und Mehraufwand in ihre Systeme implementieren. Aktualisierungen auf Grund von Gesetzesänderungen könnten automatisiert erfolgen.

Digital abgebildete Gesetze vereinfachen schließlich die Simulation von Regeländerungen durch Gesetzgebungsvorhaben. Über das Projekt OpenFisca sind beispielsweise die Regeln zu Sozialleistungen und Steuern der Republik Frankreich digitalisiert. Das Ergebnis nutzt unter anderem das Wirtschaftsforschungsinstitut IPP, um die Wirkung von Gesetzesvorschlägen auf die öffentlichen und privaten Einnahmen zu simulieren.

Fazit

Nicht nur aufgrund der prinzipiellen Anschlussfähigkeit an die aktuell laufenden übergreifenden Digitalisierungsmaßnahmen weist das Infotool Familie im Kleinen den Weg in die Zukunft des digitalen Staates. Bei der Gestaltung des Tools hat man sich von der verwaltungsinternen Logik gelöst und stattdessen die Bedürfnisse der Nutzer:innen als Ausgangspunkt genommen. Als Fallbeispiel verdeutlicht das Infotool das Potenzial der Digitalisierung für neuartige Informationsangebote und für eine Erhöhung der Transparenz an den Schnittstellen zwischen Staat und Gesellschaft. Was bedeutet eine bestimmte gesetzliche Regelung für mich ganz konkret? Was sind die konkreten Gründe dafür, dass ich keinen Anspruch auf eine Leistung habe? Bürgerzentrierte digitale Anwendungen können dabei helfen, die Grundlagen staatlichen Handelns – also Gesetze und Verordnungen – und die darauf aufbauenden Verwaltungsentscheidungen einzelfallbezogen in die konkreten Lebenswirklichkeiten der Bürger:innen zu übersetzen. Aus den Hürden, die im Rahmen der Entwicklung des Infotools genommen werden mussten, wird deutlich, dass diese Übersetzungsarbeit aktuell noch mit viel Aufwand verbunden ist. Unsere Gesetze und Verordnungen sind noch nicht „fit" für die Interaktion mit und die Verarbeitung durch digitale Systeme. Zur gleichen Zeit verlagern sich zentrale gesellschaftliche Transaktionsprozesse zunehmend ins Digitale und werden durch IT-Systeme vermittelt. Mit der digitalen Abbildung von gesetzlichen Regelungen zeigt das Infotool somit einen der zentralen Bausteine für den digitalen Staat auf. Egal in welche Richtung das Infotool Familie weiterentwickelt wird: Die deutsche Verwaltung kann aus diesem überschaubaren, aber innovativem Dienst viele wertvolle Erkenntnisse herausziehen, die dabei helfen, den richtigen Kurs einzuschlagen.


Veröffentlicht: 13.02.2020