Monitor Digitale Verwaltung #4 – Director's Cut
Monitor Digitale Verwaltung #4 – Director's Cut
von Hannes Kühn
Hannes Kühn ist stellvertretender Leiter des Sekretariats des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) und kümmert sich dort um die Themen Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung. Er ist Verwaltungswissenschaftler und verbrachte seine erste Station in der Bundesverwaltung als Teilprojektleiter bei der einheitlichen Behördennummer 115.
Neben Kostenfolgenabschätzung und besserer Rechtsetzung ist die Verwaltungsdigitalisierung einer der größten Hebel für den Bürokratieabbau, d.h. für effiziente, bürger- und unternehmensfreundliche Verwaltungsleistungen. Weil das so ist, beschäftigt sich der Nationale Normenkontrollrat (NKR) seit vielen Jahren mit den Hemmnissen für die digitale Transformation der Verwaltung und hat mit den E-Government-Gutachten 2015 (»Es gibt kein E-Government in Deutschland!«) und 2016 (»Wie der Aufstieg gelingen kann«) versucht zu zeigen, welches Potenzial der Verwaltungsdigitalisierung innewohnt und wie sie auch in Deutschland gelingen kann.
2017 wurde dann das Onlinezugangsgesetz (OZG) verabschiedet. Seither verfolgt der NKR die Umsetzung des OZG und gibt regelmäßig den Monitor Digitale Verwaltung heraus. Nachgegangen wird der Frage, wie die Zielsetzung des OZG - die flächendeckende Digitalisierung der gut 600 wichtigsten Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 zu erreichen – angesichts der großen strukturellen Defizite und komplexen Umsetzungsstrukturen in Deutschland gelingen kann.
Die Kernthesen des Monitors im Überblick. Für den Erfolg des OZG – auch über 2022 hinaus – brauchen wir mehr Transparenz, Standardisierung und digitaltaugliches Recht
Zuletzt erschien Ausgabe #4 des Monitors und konstatierte guten Willen und großes Engagement in Bund, Ländern und Kommunen. Gleichzeit wurde der Blick auf die weiterhin großen Herausforderungen zum Halbzeitstand der OZG-Umsetzung gerichtet. Die Kernforderungen des Monitors #4 zu
- größerer Transparenz beim Umsetzungsmonitoring,
- stärkerer Standardisierung bei den Einer-für-Alle-Leistungen für mehr Lösungswettbewerb und bessere Nachnutzbarkeit sowie
- höherer Digitaltauglichkeit von Gesetzen
haben zwischenzeitlich Eingang in die laufenden Diskussionen in Verwaltung und Politik gefunden und sollten aus Sicht des NKR dringend weitere Berücksichtigung finden.
Was noch? Der Monitor #4 im Director's Cut
Weil über die Kernthesen schon viel geschrieben und berichtet wurde, sollen sie an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholt werden. Stattdessen soll der Blick auf die hinteren Bereiche des Monitors gelenkt werden, wo weiteres Diskussionsmaterial «schlummert», das ebenso eine Beachtung verdient. Was folgt, ist gleichsam eine Aufbereitung jener Szenen, die erst durch einen Director’s Cut ins Auge des Betrachters fallen.
OZG-Umsetzung findet in einem komplexen organisatorischen Umfeld statt
Verwaltungsdigitalisierung und OZG-Umsetzung sind nicht nur fachlich anspruchsvoll, sie finden auch in einem komplexen organisatorischen Umfeld und in mehrstufigen Governance-Strukturen statt. Darin nehmen einzelne Organisationen wie der IT-Planungsrat, der IT-Rat, die FITKO, das BMI und das Kanzleramt gewisse Schlüsselstellungen ein - über besondere Durchgriffsrechte oder herausgestellte Steuerungsressourcen verfügen sie aber nicht. Gleichzeitig finden die OZG-Prozesse, namentlich die Digitalisierungsprogramme, zu einem beachtlichen Teil außerhalb der etablierten Strukturen statt – auch um agiler vorangehen zu können. Hinzu treten explizit agil arbeitende Digitalisierungseinheiten wie das Digital Innovation Team DIT und – seit neuestem – der DigitalService4Germany.
Die Strategie-, Entscheidungs- und Steuerungsfähigkeit dieser Strukturen bleiben bisher hinter den Erwartungen zurück
Obgleich IT-Planungsrat und IT-Rat als die zentralen Koordinierungsgremien an Professionalität gewonnen haben und Koordinierungsressourcen bei der FITKO, im BMI und im Kanzleramt aufgebaut wurden, bleiben die Strategie-, Entscheidungs- und Steuerungsfähigkeit dieser Strukturen hinter den Erwartungen zurück. Dies liegt auch an den vielleicht rückläufigen, aber fortbestehenden Beharrungskräften und mancher Abwehrhaltung in Fachministerien, Ländern und Kommunen, wo bei allem anzuerkennenden Kulturwandel oft genug noch immer althergebrachte Denkweisen anzutreffen sind. Deshalb sollte nicht nur an einen stärkeren Gemeinschaftsgeist appelliert sondern eine Neuausrichtung der Governance erwogen werden, um die Umsetzungs-Komplexität zu reduzieren, die Orientierung zu verbessern, die Standardisierung zu fördern und die Steuerung zu erleichtern. Wir reden hierbei nicht zwingend von einem Digitalisierungsministerium, aber von mehr zentraler Koordinierungs- und Umsetzungspower und vor allem von mehr Standardisierung und Verbindlichkeit. Wir brauchen mehr »Responsible Governance«. Dafür lohnt sich auch ein Blick in die Schweiz zum »Projekt zur Optimierung der bundesstaatlichen Steuerung und Koordination«, das sich mit der Governance-Frage im föderalen Bundestaat intensiv beschäftigt hat.
Wie bekommen wir einen ebenenübergreifenden Government Digital Service for Germany? Der digitale Servicestandard kann einen ersten Rahmen bilden.
Unter dem Gesichtspunkt der Governance und unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Digitalrates der Bundesregierung sollten Bund und Länder zudem entscheiden, welche Einrichtung in Deutschland die Rolle der dänischen Digitalisierungsagentur oder des britischen Government Digital Service übernehmen könnte. Beide Einrichtungen wirken sowohl konzeptionell als auch praxisorientiert, vor allem aber kulturverändernd auf die Digitalisierungsbemühungen in den Fachverwaltungen ein – allerdings auf allen Verwaltungsebenen und mit einer Mitarbeitendenzahl, die – übertragen auf Deutschland – in die Tausende ginge. Konsequent wäre es, eine solche Aufgabe inkl. der zugehörigen Ressourcen perspektivisch der FITKO zuzuordnen bzw. auch dort vergleichbare Kompetenzen aufzubauen und mit den bestehenden Bundes- und Landes-Projekten eng zu verbinden oder sogar zu verschmelzen. Ob eine bloße Vernetzung der bestehenden Innovationseinheiten in Bund und Ländern die gleiche Hebelwirkung erzielen kann, ist fraglich. In jedem Fall erstrebenswert ist die projekt-, organisations- und ebenenübergreifende Anwendung des Digitalen Servicestandards, der, wenn von Vielen verwendet, zu einer gemeinsamen Klammer wird und ggf. eine Art virtuelle Gesamtorganisation der OZG-Innovatoren und -Umsetzer ermöglicht. Je verbindlicher und anwendungsfreundlicher der Servicestandard in den nächsten Monaten und Jahren ausgestaltet werden kann, desto größer würde seine (Klammer-)Wirkung ausfallen.
Wenn Nutzerfreundlichkeit das A ist, ist Once Only das O. Ohne Registermodernisierung geht beides nicht!
Voraussetzung für ein hohes Maß an Nutzerfreundlichkeit ist die Verwirklichung des Once-Only-Prinzips. Daten von Bürgern und Unternehmen sollen von der Verwaltung leichter genutzt und nicht immer wieder aufs Neue angegeben werden müssen. Mit dem Registermodernisierungsgesetz hat die Bundesregierung einen Regelungsentwurf vorgelegt, der OZG-relevante Datenbestände mithilfe der Steueridentifikationsnummer leichter erschließen möchte. Damit Bürger leicht nachvollziehen können, wann, wofür und durch welche Verwaltungen die Steuer-ID als einheitliches Personenkennzeichen genutzt wurde, soll ein Datencockpit eingerichtet werden, das Zugriff auf entsprechende Protokolldaten ermöglicht. Diese sollen von s.g. Intermediären aufgezeichnet werden, die die Datenflüsse zwischen den Verwaltungen kontrollieren. Der Gesetzentwurf wird kontrovers diskutiert, da er aus Sicht von Datenschützern verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.
Die Einführung eines einheitlichen Identifiers erntet Kritik – echte Alternativen sind aber nicht zu erkennen
Um Daten zu einer Person in verschiedenen Datenbeständen eindeutig identifizieren zu können, wird bisher ein Bündel persönlicher Daten verwendet. Da Daten wie Name oder Anschrift veränderlich sind oder fehlerhaft sein können, ist es mitunter schwer, Daten der richtigen Person zuzuordnen. Es kommt zu Verwechslungen, Klärungen sind aufwendig. Ein einheitliches Personenkennzeichen, wie es in fast allen europäischen Ländern verwendet wird, ist ein probates Mittel, Daten einer Person eindeutig zuzuordnen. Neben den kontrollierenden Intermediären und der Transparenz durch das Datencockpit stellt auch die dezentrale deutsche Registerlandschaft eine zusätzliche Hürde für den von Datenschützern gefürchteten, möglichen staatlichen Missbrauch eines einheitlichen Personenkennzeichens dar. Die Fundamentalkritik der Datenschützer ist nicht nachvollziehbar, einzelne Verbesserungsvorschläge ggf. schon. Bisher sind jedenfalls keine Alternativvorschläge vorgetragen worden, die den Datenschutz substanziell verbessern und zudem den Praxistest bestehen würden.
Eine vertiefte Bewertung des geplanten Ansatzes ist in der NKR-Stellungnahme zum Registermodernisierungsgesetz enthalten. Zu empfehlen ist auch die Stellungnahme von Prof. Parycek.
Es gibt nicht nur Personen. Auch Unternehmen und Gebäude müssen identifizierbar sein
Innerhalb der Bundesregierung gibt es darüber hinaus weitere Aktivitäten zur Registermodernisierung. Während das BMI die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens nebst Basisregisters für Personen plant, strebt das BMWi eines für Unternehmen und das BMBF eines für Bildungsverläufe an. Hinzu kommen Vorbereitungen für eine registerbasierte Bevölkerungsstatistik (inkl. Registerzensus) und Aktivitäten für die Konzeption eines Gebäude- und Wohnungs-, ggf. sogar eines Anschriftenregisters. Trotz eines übergreifenden Koordinierungsprojektes Registermodernisierung, das vom IT-Planungsrat beauftragt und vom BMI verantwortet wird, scheint eine echte Orchestrierung dieser verschiedenen Einzelprojekte bisher nicht stattzufinden.
Großbaustelle Registermodernisierung – in ihrer Dimension mit dem OZG vergleichbar
Ohne umfassende Registermodernisierung wird die Digitalisierung von Staat und Verwaltung jedoch nicht erfolgreich verlaufen. Trotz mehrfacher Ankündigungen und eines Koordinierungsprojektes beim IT-Planungsrat geht die Entwicklung in den Einzelprojekten nicht schnell genug voran. Die zugehörigen Gesetze müssen jetzt zügig verabschiedet werden, um noch in dieser Legislatur die Grundlagen für die Umsetzung zu schaffen. Zudem müssen alle Einzelprojekte endlich ernsthaft koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Dafür fehlt es bisher nach wie vor an Ressourcen und politischer Aufmerksamkeit. Dabei wäre das Gegenteil nötig. Denn als Gesamtaufgabe ist die Registermodernisierung in ihrer Dimension mit dem OZG vergleichbar und erfordert dasselbe Engagement.
Zerfaserter Portalverbund?
Die OZG-Umsetzung besteht nicht nur in der Digitalisierung der 600 Verwaltungsleistungen. Es sollen auch die Portale von Bund, Ländern und Kommunen zu einem Portalverbund verknüpft werden, bei dem es egal ist, wo man »einsteigt«. Von jedem Einstiegpunkt soll man zum richtigen Onlineverfahren geleitet werden – in nicht mehr als drei Klicks. Die Verknüpfung der Portale wird durch eine Such- und Weiterleitungsfunktion ermöglicht. Auf eine stärkere Integration der Portale wird verzichtet. Eine entsprechende Umsetzungslösung hatte sich als zu komplex herausgestellt. Mit der vereinfachten Verknüpfungsfunktion wird das Ziel, mit drei Klicks zur Leistung zu kommen, wohl nicht erreicht werden. Auch die Integration von Spezialportalen (z.B. familienportal.de, zukünftig: Rentenübersicht) wird bisher nicht aktiv verfolgt. Einer drohenden Zerfaserung des Portalverbundes und der digitalen Verwaltungsangebote muss begegnet werden. Denn auch Auffindbarkeit, Form und Präsentation der Onlineleistungen bestimmen über den OZG-Erfolg.
Interoperable Servicekonten?
Der Zugang zum Portalverbund soll über Servicekonten erfolgen. Darin sollen Bürger und Unternehmen unterschiedliche Möglichkeiten erhalten, sich für digitale Angebote auszuweisen sowie ihre Daten verwalten und freigeben zu können. Bund und Länder entwickeln verschiedene Servicekonten, die untereinander und auch EU-weit interoperabel sein müssen. Es ist noch nicht absehbar, ob das gelingt und dem Aufwand angemessen ist, anstatt sich zwischen Bund und Ländern auf eine einheitliche Lösung für die wichtige Basisinfrastruktur zu einigen. Der Verbund interoperabler Servicekonten soll bis 2021 lauffähig sein. Dass es nun doch ein einheitliches Unternehmenskonto geben soll, ist eine gute Nachricht. Da es zudem auf der ELSTER-Infrastruktur basieren soll, ist eine Umsetzung deutlich schneller möglich.
Eine eID für den öffentlichen und privaten Datenaustausch
Laut Koalitionsvertrag soll der elektronische Personalausweis (nPA) zu einem universellen, sicheren und einfach einsetzbaren Authentifizierungsmedium werden, das auch im privatwirtschaftlichen Bereich Anwendung findet. Bisher war diese Ankündigung noch nicht von großem Erfolg gekrönt. Stattdessen haben sich zwischenzeitlich privatwirtschaftliche Konsortien gebildet, um nutzerfreundliche Alternativen zum nPA anbieten zu können. Das zeigt, es gibt einen enormen Bedarf nach einer sicheren, verbreiteten und nutzerfreundlichen digitalen Authentifizierungsmöglichkeit, gerade auch im privatwirtschaftlichen Bereich. Parallele Entwicklungen sollten daher vermieden werden, um Bürger nicht mit mehreren, wechselseitig ggf. sogar inkompatiblen eID-Lösungen zu konfrontieren. Der nPA muss zu der Standard-eID-Lösung werden. Nur so wächst die Vertrautheit mit und das Vertrauen in diese Technologie. Interessant in diesen Zusammenhang ist die Initiative ihre-id.de. Die zuletzt von BMI angekündigte Entwicklung der mobilen nPA-Lösung erleichtert die Nutzung. Konsequent wäre es, dann auch die Schutzniveaus von Leistungen wie dem Elterngeld auf »substanziell« zu setzen und nicht auf »hoch« zu belassen.
Veröffentlicht: 27.01.2021