Nachhaltige Digitalisierung: Die Rolle von Evaluation in der kommunalen Praxis
Nachhaltige Digitalisierung: Die Rolle von Evaluation in der kommunalen Praxis
Gastbeitrag von Vincent Jörs und Tom Schmidt .
Vincent Jörs ist Berater in der Kommunalberatungsagentur City & Bits GmbH am Standort Berlin. Er berät den kommunalen Sektor im Bereich Smart City/Smart Region vor allem zu Strategieentwicklung und -umsetzung, Kommunikations- und Beteiligungsprozessen sowie im Kontext der Use Case-Identifikation und -Umsetzung. Der Smart City-Enthusiast setzt sich für digitalen Fortschritt in Kommunen ein, um eine nachhaltige Entwicklung dieser zu sichern und die Lebensqualität vor Ort v.a. durch verstärkte Teilhabe zu steigern.
Tom Schmidt ist Kommunaler Berater bei City & Bits am Standort Berlin. Smart City- und Digitalisierungsprojekte zum Wohle einer nachhaltigen Kommune sind seine Leidenschaft. Tom kann eigene kommunalpolitische Erfahrungen mit einbringen und versteht sich als Brückenbauer zwischen den verschiedensten Akteuren vor Ort.
In der deutschen Kommunallandschaft wird das vielfältige und komplexe Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren immer stärker in Handlungsfeldern kommunaler Digitalisierung mitgedacht. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Umsetzung der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung im Smart-City-Bereich, aber auch bei digitaler Klimafolgenanpassung oder kommunaler Wärmeplanung mit digitalen Mitteln. Für den öffentlichen Sektor existiert relativ viel Fachwissen zu diesen Themenbereichen, jedoch sind noch immer wenig Umsetzungswerkzeuge vorhanden. Aus diesem Grund hat City & Bits im Jahr 2023 das Kompetenzzentrum Öffentliche IT bei der Entwicklung des Whitepapers »Wertebasierte Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Sektor« unterstützt. Damit diese Zwillingstransformation auch im kommunalen Alltag umgesetzt werden kann, wurde für das Whitepaper ein sogenanntes Nachhaltigkeits-Canvas entwickelt, um Nachhaltigkeitsaspekte von konkreten Digitalisierungsvorhaben aufzuzeigen, zu priorisieren und Potenziale zu identifizieren, mit denen die jeweiligen Vorhaben in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden können. Grundsätzlich können alle Digitalisierungsvorhaben damit analysiert werden: von Smart City und Smart Region über OZG bis Verwaltungsdigitalisierung und darüber hinaus.
In dem Canvas gibt es insgesamt drei Bereiche: Steuerung, Technik und Evaluation. Im für diesen Beitrag hervorgehobenen Bereich »Evaluation« werden Methoden vorgeschlagen, die eine Überprüfung auf den »Erfolg« der Nachhaltigkeitsbestrebungen erlauben. Eine Methode ist die Folgenabschätzung. Diese ist hinsichtlich der Evaluation von Nachhaltigkeitsvorhaben zentral, denn die ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen der Digitalisierung sind oftmals komplexer als in einer Projektskizze angenommen. Durch eine Aufgliederung in »Unmittelbare«, »Mittelfristige« und »Langfristige« Auswirkungen soll eine differenzierte Analyse oder zumindest eine Abschätzung entlang der Nachhaltigkeitsdimensionen vorgenommen werden können.
Evaluation im Kontext von Smart City/Region-Vorhaben
Der hohe Komplexitätsgrad von Digitalisierungsvorhaben, wie sie im Beratungsalltag zur Verwaltungsdigitalisierung oder im Kontext von Smart City- und Smart Region-Ansätzen oftmals vorhanden sind, macht eine mehrstufige Evaluation häufig notwendig. Nach der »Smart City Charta« sind Smart Cities nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet. Dabei bietet die digitale Transformation Städten, Kreisen und Gemeinden Chancen auf dem Weg der nachhaltigen Entwicklung und zielt auf ressourcenschonende, bedarfsgerechte Lösungen der zentralen Herausforderungen der Stadtentwicklung ab.
Hierbei bedarf es einer strategischen Zielsetzung, klugen Steuerung und genauen Überprüfung vor allem hinsichtlich der multidimensionalen Ziele, auf welche die Smart City/Region-Initiativen in der Praxis einzahlen sollen: Teilhabe, Bewahrung der Eigenart und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Diese definierten Ziele konzentrieren sich hauptsächlich auf die ökologischen Aspekte der Nachhaltigkeit. Es ist jedoch darüber hinaus auch wichtig, eine strategische Zielsetzung zu formulieren, die regelmäßig überprüft wird. Bei Bedarf sollten Anpassungen durch entsprechende regulatorische Maßnahmen erfolgen.
Durch Monitoring- und Evaluationskonzepte können Digitalisierungsvorhaben kontinuierlich beobachtet und gesteuert werden, um die multidimensionalen Ziele einer integrierten Stadt- und Regionalentwicklung zu erreichen. Das Monitoring bildet hierbei die Basis für eine Evaluation. Die Evaluation stellt wiederum die auf dem Monitoring basierende Informationsgrundlage für die Kommunalverwaltung hinsichtlich einer bewertenden Einordnung des Status quo von Smart City/Region-Vorhaben sowie deren zukünftige Ausgestaltung dar. Zudem können neue Trends hinsichtlich technischer Möglichkeiten frühzeitig erkannt und im Sinne der Zielerreichung nachgesteuert werden.
Indikatoren nehmen einen wichtigen Bestandteil in Evaluationsprozessen ein. Mit Hilfe dieser können strategische formulierte Ziele analysiert sowie nächste Schritte hinterfragt und auf Sinnhaftigkeit überprüft werden, um eine zielführende Weiterentwicklung der Projekte gewährleisten zu können. Generell sollten Indikatoren so exakt wie möglich ausdrücken, inwieweit eine Zielsetzung oder eine Anforderung erreicht, nicht erreicht oder übertroffen wurde. Daten, die nicht mit Standards oder spezifischen Projektzielen verknüpft sind, können als quantitative Hintergrundinformationen verwendet werden. Jedoch eignen sich diese nicht für konkrete Evaluierungszwecke. Die Verknüpfung mit bestimmten Zielsetzungen ist also essenziell für die Wirksamkeit von Indikatoren.
Auf europäischer und globaler Ebene stehen Kommunen bereits eine Vielzahl von Indikatorenkatalogen und -sets zur Verfügung. Hinsichtlich einer Übersetzung aus theoretischen und meist standardisierten Kriterienkatalogen in eine praktische und kommunale Umsetzung, gilt es, die Relevanz der Einbindung von lokalen Gegebenheiten in den Auswahlprozess von Indikatoren und die Integration des Faktors Nachhaltigkeit in kommunalen Digitalisierungsstrategien und -vorhaben gezielt zu beachten. Zudem gilt es für Kommunalverwaltungen zu thematisieren, welche digitalen Technologien einen substanziellen Beitrag zur Erreichung urbaner/ruraler Entwicklungs- und vor allem Nachhaltigkeitsziele leisten können. Ebenso sollte identifiziert werden welche Technologien, Systemarchitekturen und Umsetzungsstrategien ungeeignet sind oder die Stadtgesellschaften in ihrer Gestaltungsautonomie und Lebensqualität sogar einschränken.
Anwendung von Evaluation bei nachhaltigen Digitalisierungsvorhaben: Erste Erkenntnisse aus einer laufenden ÖFIT-Workshopreihe
Mit dem Nachhaltigkeits-Canvas lässt sich erheben, an welchen Stellen sich ein Digitalisierungsvorhaben nachhaltig entwickeln lässt und Verbesserungspotenziale bestehen. Zudem gibt es seit Anfang des Jahres das Nachhaltigkeits-Canvas als digital nutzbares Tool. Derzeit untersuchen das Kompetenzzentrum Öffentliche IT und City & Bits in einer Workshopreihe die Umsetzungswirkung des Canvas. In dieser Workshopreihe können Kommunen das Canvas auf eines ihrer Digitalisierungsvorhaben anwenden. Dazu zählen unter anderem die KielRegion, der Kreis Recklinghausen und der Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Die Ergebnisse der Workshopreihe fließen Ende dieses Jahres in die methodische Weiterentwicklung des Canvas ein. Erste Erkenntnisse lassen sich bereits jetzt festhalten:
Das Canvas sollte sowohl in der Konzeption als auch in der Evaluation von Digitalisierungsvorhaben eingesetzt werden, da mit diesem während der Konzeption schon »vom Ende her gedacht« werden kann, um so die passenden Evaluationskriterien zu bestimmen:
- Die SDGs sollten mit KPIs unterfüttert werden, um die Steuerungs- mit der Evaluationsebene operativ zu verzahnen. Dabei können Vorarbeiten der Bertelsmann-Stiftung zu kommunalen SDG-Unterzielen und SDG-Indikatoren helfen.
- Entgegen uns gegenüber vielfach geäußerter Rückmeldungen lassen sich Nachhaltigkeitsziele sehr einfach umsetzen, wenn diese mit den drei Nachhaltigkeitswegen Effizienz, Suffizienz und Konsistenz zusammengedacht werden.
- Die analysierten Digitalisierungsvorhaben haben ihren eigenen Wirkungskreis, sind aber auch vom Wirkungskreis anderer Digitalisierungsvorhaben betroffen. Exemplarisch nutzt ein Sensorik-Projekt eine bereits zuvor entwickelte Datenplattform. Dementsprechend ist es wichtig, den eigenen von anderen Wirkungskreisen abzugrenzen - analog der Zuliefer-Pyramide in der EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung.
- Beim Nicht-Erreichen von selbst definierten oder während des Canvas-Workshops neu erkannten Nachhaltigkeitszielen sollten Handlungsperspektiven und Nachsteuerungsmöglichkeiten anhand der oben genannten Nachhaltigkeitswege aufgezeigt werden. So können beispielsweise vorhandene Projektkriterien um ökologische Dimensionen erweitert oder Nachhaltigkeitskriterien Teil von Vergabeprozessen werden. Dadurch können im Bereich Green IT/Sustainable Coding niedrigschwellig große Veränderungen bewirkt werden.
Weiterhin wurde festgestellt, dass für die abschließende Evaluation inkl. der Einordnung der Evaluationsergebnisse des Digitalisierungsvorhabens wiederum das Gesamtsystem der Kommune berücksichtigt werden muss. Dazu haben wir das Nachhaltigkeits-Canvas um eine Abfrage des Smart City-Reifegrads der jeweiligen Kommune ergänzt. So fragen wir ab, ob die Kommune sich im Bereich (nachhaltiger) Smart City eher am Anfang von ersten Initiativen befindet, schon Erfahrungen mit entwickelten Anwendungen hat oder sogar bereits in Integrations- und Optimierungsprozesse eingestiegen ist. Dabei ist diese Abfrage ganzheitlich zu verstehen, denn sie umfasst verwaltungsinterne Aspekte (Strategie, Organisation, Personalentwicklung, Recht und Ethik), berücksichtigt das verwaltungsexterne Ökosystem (Stakeholder, Politik) und beinhaltet den Status Quo der für die Digitalisierungsvorhaben zu nutzenden technischen Infrastruktur.
Ansätze zur Umsetzung eines digitalen Nachhaltigkeits-Monitorings
Das Nachhaltigkeits-Canvas hat seine Stärken sowohl in der Konzeption zu Beginn als auch in der abschließenden Evaluation eines Digitalisierungsvorhabens. Zudem ist dies integrierbar in übergeordnete Ziele verwaltungsinterner Nachhaltigkeitssteuerung, um beispielsweise in einem Auditing-Prozess die Wirkung nachhaltiger Digitalisierung auf die jeweiligen Klima- bzw. CO2-Neutralitätsziele zu prüfen sowie im Falle von Abweichungen eines Zielerreichungsgrades weitere Maßnahmen zu empfehlen. Damit wird schon jetzt immer klarer, dass das Nachhaltigkeits-Canvas eine konzeptionelle Grundlage für zu erstellende Nachhaltigkeitsberichte im öffentlichen Sektor bilden kann.
Die Digitalisierung öffentlicher Nachhaltigkeitssteuerung bietet für Aspekte der Echtzeit-Kommunikation und -Steuerung inzwischen innovativere Lösungen als Nachhaltigkeitsberichte. Eine Kommune, die über gewisse technische und organisatorische Voraussetzungen wie eine interne Datenstrategie und Dateninfrastruktur verfügt, sollte dieses technische Potenzial vollständig ausschöpfen. Dies ist nicht nur wichtig, um den gesellschaftlichen Mehrwert von nachhaltigen Digitalisierungsvorhaben für die Bürger:innen besser zu kommunizieren, sondern auch, um die Arbeit an nachhaltiger Entwicklung innerhalb der Kommunalverwaltung zu vereinfachen. Beispielsweise informiert die Stadt München mit einem Digitalisierungsradar über den Fortschritt ihrer zentralen Digitalisierungsvorhaben und die Stadt Münster veranschaulicht ihre Fortschritte im Beriech der kommunalen Nachhaltigkeit über ein Klimadashboard. Solche Monitoring-Dashboards können schon jetzt im Alltag zu einem einsetzbaren Projektmanagement-Tool werden – und in naher Zukunft mithilfe von künstlicher Intelligenz bspw. auf Knopfdruck einen Report zum Nachhaltigkeits-Status-Quo erstellen. Dafür braucht es jedoch eine Verbindung von Nachhaltigkeits- mit Digitalisierungsbestrebungen hin zu einer ganzheitlich gedachten Zwillingstransformation.
Weiterführendes von ÖFIT:
Wertebasierte Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung im öffentlichen Sektor
Digitalisierung und Nachhaltigkeit stellen grundlegende strukturelle Transformationen dar, die zusammengedacht werden sollten. Um dies erfolgreich zu meistern, kann die öffentliche Hand digitale Technologien als Werkzeug zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einsetzen. Gleichzeitig sollten digitale Technologien anhand von Nachhaltigkeitskriterien »in sich selbst« nachhaltiger gestaltet werden. Das White Paper präsentiert relevante Konzepte, Kriterien und Werkzeuge, welche die Nachhaltigkeitsbewertung von Digitalisierungsvorhaben erleichtern. Diese werden in einem »Nachhaltigkeits-Canvas« zusammengeführt, welches Akteur:innen aus dem öffentlichen Sektor bei der Umsetzung solcher Vorhaben unterstützen kann. Ergänzt wird das White Paper durch eine kommunale Praxisperspektive der Landeshauptstadt Kiel, die gemeinsam mit City & Bits erarbeitet wurde.
Veröffentlicht: 18.12.2024