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»Vielen Dank für Ihren Dienst!« – So gelingt Open Government mit dem Mängelmelder in Bonn

»Vielen Dank für Ihren Dienst!« – So gelingt Open Government mit dem Mängelmelder in Bonn

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Sonja Fischbauer ist Expertin für offenes Wissen an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft. Bei der Open Knowledge Foundation Deutschland befasst sie sich mit Community Strategie und ist Ansprechperson für das Netzwerk Code for Germany.

Sven Hense hat den Mängelmelder 2012 in der Bonner Stadtverwaltung eingeführt. Er ist im Personal- und Organisationsamt Leiter IT-Anwendungen und Digitalisierung.

Kai Kings ist Projektorganisator eGovernment in Bonn. Er betreut den Mängelmelder aktuell und koordiniert den Relaunch.

»Guten Morgen! Ich wollte melden, dass die Mülltonne Ecke Hopmannstr. /Peter-Schwingen-Str. überfüllt ist.« - »Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Bauminseln an den Kirschbäumen in der Friedrichstrasse möchten wir die Patenschaften übernehmen.« - »Am Glassammelcontainer steht Sperrmüll auf dem Fuß/Radweg. Im Dunkeln für Radfahrer kaum sichtbar, sehr gefährlich!« Rund 20 Meldungen wie diese gehen täglich auf Anliegen.Bonn.de ein. Bürger:innen melden wilde Müllkippen, überfüllte Papierkörbe, defekte Ampeln, verlassene Fahrräder, übernehmen Patenschaften für Grünflächen. Bonn war 2012 eine der ersten Städte Deutschlands, die einen Mängelmelder als digitalen Bürger:innenservice etablierte. Bonn war die erste Stadt, die daraus entstehende Daten von Anfang an als Open Government Data frei zur Verfügung stellte. Damit ist die Stadt eine Vorreiterin für digitalen Bürger:innenservice und transparentes Verwaltungshandeln. Nach neun Jahren Betrieb und knapp 35.000 Meldungen steht für den Mängelmelder Bonn nun ein Relaunch an. Anlass für ein Resümee und einen Blick in die Zukunft.

Im Interview mit Sonja Fischbauer von der Open Knowledge Foundation Deutschland: Sven Hense und Kai Kings aus der Bonner Stadtverwaltung.

Ganz kurz erklärt: Wie funktioniert der Mängelmelder Bonn?

Kai Kings: Um ein Anliegen zu melden, öffnen Bürger:innen Anliegen.Bonn.de im Browser, markieren einen Punkt auf einer Karte, wählen eine der 16 Kategorien aus, beschreiben ihr Anliegen und fügen optional ein Foto bei. Die Meldung geht direkt an die Stadtverwaltung. Mitarbeiter:innen der Clearingstelle schicken das Anliegen per Klick an die zuständigen Außendienstmitarbeiter:innen. Der oder die Melder:in bekommt automatische Status-Updates: »eingegangen, in Bearbeitung, erledigt.« Wenn das Anliegen nicht im Zuständigkeitsbereich der Stadt liegt, geben wir das auch weiter.

Sven Hense: Seit der Einführung 2012 stellt Bonn anonymisiert alle Informationen, die über diese Plattform eingehen und dargestellt werden, auch als Open Government Data zur Verfügung. Dazu nutzen wir den internationalen Schnittstellen-Standard Open311. Damit ist die Transparenz für Bürger:innen sozusagen schon vorprogrammiert.

Abbildung 1: Im Mängelmelder der Stadt Bonn können Bürger:innen ein Anliegen aus 16 klar definierten Kategorien melden. Zum Start des Mängelmelders im Jahre 2012 waren es acht Kategorien. Die Stadtverwaltung baute ihr Angebot langsam aus, und ließ dabei die Rückmeldungen der Bürger:innen einfließen. (Screenshot | Anliegen.Bonn.de)

Bonn war 2012 eine der ersten deutschen Verwaltungen, die einen Mängelmelder als digitales Tool für Bürger:innenservice eingeführt hat. Was hat euch damals bewegt, diesen Schritt zu wagen?

Sven Hense: Bonn hatte 2012 schon ein kleines Angebot für Online-Formulare, aber auch Nachfragen, wie sich das verbessern lässt. Inspiration kam durch das Projekt Fix my Street [Anm.: ein geodatenbasierter Mängelmelder aus Großbritannien]. Ich war fasziniert von der Idee, wie man einen solchen Software-Prozessablauf zum Bürger:innendienst gestalten kann. Dass es einen sehr einfachen Einstieg für die Nutzer:innen gibt, die Software gleichzeitig im Hintergrund die Prozessebenen der Verwaltung mit abbilden kann. Mit Mark-a-Spot [Anm.: eine geodaten-basierte Open Source Plattform-Software], hatten wir die nötige Technologie und konnten schnell starten. Dann sind wir einfach eingestiegen und haben es erprobt.

In den Fachbereichen gingen bis dahin die Mängelmeldungen von Bürger:innen per Telefon, Brief oder E-Mail ein. Wie kam die Idee für den zentralen Mängelmelder als Webanwendung bei den Kolleg:innen an?

Sven Hense: Bei Kolleg:innen, die direkt im Bürger:innenkontakt unterwegs waren, sehr gut. Da kam vielerorts die Rückmeldung, das sei ein niedrigschwelliger Service und könne viel helfen. Doch nicht bei allen stieß unsere Idee auf Gegenliebe. Der Mängelmelder hat den Arbeitsprozess in der Verwaltung komplett verändert. Die Fachbereiche mussten viele organisatorische Abläufe umstrukturieren. Viele Kolleg:innen befürchteten, dass negatives Feedback zurückkommt oder dass zu viele Meldungen eingehen, die außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Stadt liegen. Die Sorgen waren groß: »Werden wir zugeschüttet mit Meldungen? Werden wir die Erwartungen erfüllen?« Es fehlte einfach an Erfahrungswerten. Wir sind als erste Kommune Deutschlands mit so einem Projekt gestartet, wir konnten noch nicht referenzieren.

Abbildung 2: Für den Zeitraum Dezember 2018 bis April 2020 gingen 7.029 Meldungen ein, durchschnittlich 413 pro Monat. Weil die Stadt Bonn sämtliche Daten zum Mängelmelder seit seiner Einführung vor neun Jahren als Open Data veröffentlicht, können nicht nur die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, sondern alle interessierten Bürger:innen diese Daten einsehen, auswerten und nutzen. (Screenshot | Stadtverwaltung Bonn, intern. Ausw., 2020)

Wie habt ihr diese Hürden gemeistert?

Kai Kings: Wir haben uns langsam rangetastet und zuerst nur das dargestellt, was schon gemacht wird. Ein abgegrenztes Angebot, das auch klarstellt, was wir nicht machen. Anliegen.Bonn.de startete 2012 mit acht Anliegen-Kategorien. Zwei Jahre danach waren es schon zehn, heute sind es 16 Kategorien. Die Kategorien reichen von defekten Ampeln über verstopfte Gullys und defekte Laternen bis hin zu wilden Müllkippen.

Sven Hense: Die größte Akzeptanz in der Verwaltung erreichten wir dadurch, dass die Kolleg:innen selbst gemerkt haben, dass es funktioniert, und wie es den Bürger:innenservice verbessert. Ein Beispiel: Ich hatte 2012 einen Kollegen, der hatte den Mängelmelder komplett abgelehnt. Er begann trotzdem damit zu arbeiten. Nach zwei Jahren kam er zu mir und bedankte sich. Er bekomme das erste Mal positives Feedback direkt von den Bürger:innen. Die Leute dankten ihm, dass er ihre Anliegen so schnell erledigt. Das ist nur eine von zahlreichen Geschichten. Wenn die Leute unter ihren Meldungen schreiben »Vielen Dank für Ihren Dienst!«, motiviert das die Mitarbeiter:innen in den Fachbereichen.

Wie habt ihr durch den Mängelmelder eure Arbeit verbessert?

Kai Kings: Die größte Erleichterung sind die strukturierten Daten und der transparente Prozess, der den Bürger:innen direkt Feedback gibt.

Der Mängelmelder hat den Koordinationsaufwand für die Kolleg:innen drastisch reduziert. Früher kam eine Meldung per Telefon rein, oft musste man das Anliegen weiterleiten an eine andere Abteilung oder es kamen Briefe an. Vielleicht ist der Prozess auch irgendwo stecken geblieben - die Bürger:innen wussten an keiner Stelle Bescheid, was gerade passiert. Heute kommen die Anliegen strukturiert herein, lassen sich zentral bearbeiten und die Anwendung verschickt automatisch Status-Updates. Wir haben im System eine komplette Aufstellung, was noch zu tun, und was schon erledigt ist. Die genaue Ortsangabe spart Zeit und Ressourcen. Früher haben die Kolleg:innen im Außendienst sehr viel Zeit damit verbracht, den betreffenden Punkt zu finden - eine mündliche Beschreibung ist nicht immer eindeutig. Heute gibt es zu jedem Anliegen eine genaue Geolocation.

Fotos helfen für die Ersteinschätzung enorm. Früher hätte man z.B. für die Räumung einer wilden Müllkippe am Wegesrand erstmal jemanden mit dem Kehrwagen vorbeigeschickt. Heute kann man die Lage anhand des Fotos gleich besser einschätzen: »Ist es Gefahrgut? Ist es Grünschnitt? Reicht ein Kehrwagen oder brauchen wir einen Radlader?«

Abbildung 3: Um ein Anliegen zu melden, wählen die Nutzenden zuerst einen Punkt auf der Karte des Bonner Stadtgebietes aus. Durch die genaue Geolocation können Mitarbeiter:innen der Clearingstelle schon vorab sehen, ob das Anliegen das zuständige Stadtgebiet, oder doch ein Privatgrundstück betrifft. Auch den Mitarbeiter:innen des Außendienstes spart die genaue Ortsangabe viel Zeit. (Screenshot | Anliegen.Bonn.de)

Was haben die Bürger:innen vom Mängelmelder?

Kai Kings: Eine schönere Stadt. Durch die Hilfe der Bürger:innen schaffen wir mehr, denn tausend Augen sehen mehr als hundert. Die Mitarbeiter:innen der Stadtreinigung bonnorange fuhren schon immer durch die Stadt und hielten Ausschau nach überfüllten Mülleimern. Heute haben sie Unterstützung. Die Kolleg:innenen planen ihre Leerungsrouten unter anderem anhand von Daten aus dem Mängelmelder.

Sven Hense: Die Bürger:innen sehen, was wir machen. Früher erhielten sie meist gar keine zeitnahe Antwort, heute bekommen sie schnell eine Statusmeldung. Das schafft Vertrauen. Viele Bürger:innen sind überrascht, dass sich die Stadt so gut kümmern kann. »Super Service. Hätte ich nicht für möglich gehalten«, bekommen wir öfter als Rückmeldung. Durch den Mängelmelder ergeben sich auch mehr Möglichkeiten. Optimierte Routenplanung für Services wie Reinigung ist eine Sache, aber es lassen sich auch potenzielle Brennpunkte in der Stadt erkennen. Ein Beispiel: Es gibt in Bonn eine Radfahrstrecke, an der mehrmals Glassplitter gemeldet wurden. Eine Meldung, wurde erledigt. Kurz darauf die nächste Meldung. Früher hätten sich die Bürger:innen gedacht: »Die Stadt tut hier nichts, da liegt doch noch das Glas rum, das ich gemeldet hatte.« Durch die offenen Prozesse im Mängelmelder konnten alle sehen: »Das Glas von gestern wurde schon weggeräumt, das hier ist neu.« Tatsächlich hat sich dann herausgestellt, dass jemand mehrmals mutwillig Glas zerschlagen hat, um Räder platt zu machen. Ohne den Mängelmelder wäre das nicht so leicht rausgekommen. So konnte man dem schnell auf den Grund gehen.

Abbildung 4: Die Nutzenden erhalten automatische Updates zum Status ihres gemeldeten Anliegens per E-Mail. Für die Mitarbeiter:innen der Stadtverwaltung ist dieser Schritt schon automatisch durch die Software des Mängelmelders in ihre Prozesse integriert. Auf der Webseite gibt’s zusätzlich zu jedem Anliegen ein Logbuch. (Screenshot | Anliegen.Bonn.de)

Welche Tipps habt ihr für Kolleg:innen, die mit dem Gedanken spielen, in ihrer Stadt einen Mängelmelder einzuführen?

Kai Kings: Mit einem klar umrissenen Angebot starten. Startet mit dem Leichtesten, macht nicht gleich alles, und baut dann langsam aus. Orientiert euch am Feedback der Nutzer:innen und fügt die Kategorien dazu, die häufig angefragt werden. Im Endeffekt wollen wir alle eine schöne Stadt, einen schönen Lebensort. Die Bürger:innen da einzubeziehen und alle mitzunehmen, das macht definitiv Sinn.

Sven Hense: Von Anfang an auf offene Schnittstellen setzen. Open311 muss der Standard sein, damit für alle transparent ist, wie die Stadt mit den Meldungen umgeht. Und keine Scheu vor Transparenz. Wir haben seit 2012 keinen Missbrauch festgestellt. Es gibt keinen Spam. Was wir bekommen, sind berechtigte Anliegen der Bürger:innen. Der Mängelmelder ist ein tolles Instrument, um den eigenen Bürger:innenservice zu verbessern. Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.

Die Technik dahinter

Die technische Plattform des Mängelmelders Bonn ist Open Source. Sie basiert auf dem Content Management System Drupal und der Geodaten-basierten Software Mark-a-Spot.

Die API-Schnittstelle, auf der die Informationen zu den Anliegen und Kategorien anonymisiert als Open Government Data veröffentlicht werden, folgt dem Standard Open311, dem internationalen Standard für Anliegenmanagement zwischen Bürger:innen und Behörden im öffentlichen Raum. Open311 beinhaltet die technischen Spezifikationen (also: wie Daten und Datenfluss beschaffen sein müssen) die eine Schnittstelle braucht, damit das, was Behörden dort veröffentlichen, nachhaltig nutzbar, transparent und offen ist.

Bonn war 2012 die erste europäische Stadt, die diese Open-Data-Schnittstelle unterstützte. Mittlerweile bieten viele weitere Kommunen Schnittstellen nach dem Open311-Standard an, um ihre Bürger:innen mit offenen Daten zu versorgen.

Weiterführendes von ÖFIT:

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Berlin: Fraunhofer FOKUS: Kompetenzzentrum Öffentliche IT


Veröffentlicht: 14.09.2021