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Technologie von Bürger:innen für Bürger:innen: Vorstellung von Civic Tech

Technologie von Bürger:innen für Bürger:innen: Vorstellung von Civic Tech

Von Liadán Sage

Editors Note: Diese Civic Tech-Blogreihe ist primär als Plattform für verschiedene Meinungen und Erkenntnisse aus der Civic Tech-Branche konzipiert. Ziel ist es, durch die Beleuchtung verschiedener Beispiele und Erfahrungen ein tieferes Verständnis von Civic Tech herzustellen und hierdurch zur erfolgreichen Kooperation mit der öffentlichen Hand beizutragen.

Ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe befindet sich hier: Blogreihe Civic Tech

Was ist Civic Tech?

Civic Technology – kurz: Civic Tech – umfasst angewandte Informationstechnologien, die es Bürger:innen ermöglichen, an einem inklusiven Diskurs mit dem Staat zu partizipieren. Eine feststehende Definition von Civic Tech gibt es nicht. Meist handelt es sich jedoch um Technologien, die zivilgesellschaftliches Engagement fördern und darauf abzielen, die politische Teilhabe der Menschen und die Vernetzung zwischen Bürger:innen, Gemeinschaften, Politik und Verwaltung zu vereinfachen. Civic Tech beruht auf Prinzipien wie E-Partizipation und Ko-Kreation: Bürger:innen werden aktiv eingebunden und ein nutzendenzentriertes Design steht im Vordergrund. Civic Tech zeichnet sich darüber hinaus durch die Nutzung und/oder Bereitstellung offen verfügbarer Ressourcen (z.B. Open Data und Open Source Software) aus.

Civic Tech-Initiativen werden meist durch Ehrenamtliche getrieben, die ihre technische Expertise nutzen, um digitale Werkzeuge zu entwickeln. Gleichwohl gibt es Organisationen und Netzwerke im Bereich Civic Tech, die hauptsächlich durch Stiftungen und gemeinnützige Organisationen sowie staatliche Fördergelder, große IT-Unternehmen oder private Spenden finanziert werden. Die Open Knowledge Foundation (OKF), eine gemeinnützige Stiftung in Deutschland, betreut zum Beispiel das Förderprogramm Prototype Foundation, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird. Verwaltungen betreiben teilweise auch selbst Civic Tech-Initiativen, wie die Civic Innovation Platform der Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft im Bundesarbeitsministerium, die Impulse für KI-Anwendungen unterstützt, die dem gesellschaftlichen und sozialen Fortschritt dienen.

Ausprägungen von Civic Tech

Civic Tech-Anwendungen können unterschiedliche Formate haben, von Plattformen und Portalen bis hin zu Apps und anderer Software. Die US-amerikanische Knight Foundation unterscheidet zwei Stoßrichtungen von Civic Tech, »Open Government« (offene Regierungsführung) und »Community Action« (die verbesserte, handlungsorientierte Koordination innerhalb der Gemeinschaft). »Open Government« umfasst Anwendungen, die öffentlich erhobene Daten visualisieren und interaktiv nutzbar machen (wie beispielsweise FragDenStaat, Wahl-O-Mat, Abgeordnetenwatch, RettedeinenNahverkehr). »Community Action« wiederum bezweckt eine Stärkung der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation und umfasst beispielsweise Organisationsplattformen von Bürger:innen für Bürger:innen sowie andere Peer-to-Peer-Anwendungen (wie WheelMap, FixMyCity, Open Food Network, Sensor Community). Code for Germany ist ein weiteres, bekanntes Civic Tech-Beispiel: Das Netzwerk besteht aus über 500 Open Government-Expert:innen aus ganz Deutschland, die sich für mehr Transparenz, offene Daten und Partizipation in ihren Städten einsetzen.

Civic Tech-Initiativen gibt es nicht nur bundesweit, sondern auch auf regionaler und kommunaler Ebene. Das digitale Bürgerbeteiligungssystem DIPAS, das von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen getragen wird, richtet sich beispielsweise an die Bürger:innen von Hamburg. Die zivilgesellschaftliche Initiative München Transparent stellt die Daten der Münchener Stadtverwaltung in einer nutzendenfreundlichen und offenen Form dar. Das ehrenamtliche Verschwörhaus in Ulm bietet einen offenen Treffpunkt in der Stadt an, wo sich Bürger:innen zu digitalpolitischen Themen austauschen können.

Civic Tech und GovTech

Government Technology (kurz: GovTech) und Civic Tech werden oft zusammen genannt, weil beide letztlich den Einsatz von Technologien im Umfeld des Staates beschreiben – allerdings unterscheiden sich die Konzepte in der Zielsetzung und Zielgruppe. GovTech wird vorwiegend für Behörden als Kunden oder Nutzer konzipiert, mit dem Ziel, das Regierungs- bzw. Verwaltungshandeln zu optimieren. Civic Tech hingegen zielt auf Bürger:innen und fokussiert stärker auf Technologie für das öffentliche Gemeinwohl als auf Technologie als Mittel für mehr Effizienz. Allerdings sollten Civic Tech und GovTech nicht als gegensätzliche Instrumente betrachtet werden, denn sie funktionieren am besten, wenn sie zusammen eingesetzt werden: Civic Tech hilft den Bürger:innen, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen und GovTech unterstützt die Verwaltung dabei, effizienter auf diesen Input zu reagieren.

Warum ist Civic Tech für die Digitalisierung der Verwaltung relevant?

Civic Tech kann Impulse setzen und Ideengeberin für die öffentliche Verwaltung sein. Zudem können digitale Anwendungen, die durch Civic Tech-Initiativen entstehen, als Schnittstellen zwischen Verwaltung und Bürger:innen fungieren. Nicht nur Bürger:innen und die Zivilgesellschaft, sondern auch die öffentliche Verwaltung profitieren von dieser verstärkten Kommunikation. Durch die Beteiligung und Expertise der Bürger:innen erhält die öffentliche Hand ein besseres Verständnis dafür, was diese brauchen, kann Ressourcen entsprechend zuweisen und bessere Lösungen für Probleme und Vorhaben finden. Auf diese Weise können etwa Verwaltungsdienstleistungen vereinfacht werden. Zudem wird der Umgang der Verwaltung mit Anfragen transparenter. Daraus entsteht eine neue Kooperationskultur zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Damit leistet Civic Tech einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung bzw. Stärkung von Open Government und dient mit seiner Bürger:inzentrierung als Leitbild für die Verwaltungsdigitalisierung. Wichtig ist, dass Erkenntnisse aus Civic Tech-Prozessen von Politik und Verwaltung aufgegriffen und berücksichtigt werden.

Herausforderungen für Civic Tech

Für Civic Tech-Initiativen gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung mitunter schwierig. Die Anbindung an bestehende Verwaltungssysteme bzw. -prozesse ist kaum möglich, weil den Systemen offene Schnittstellen fehlen oder Verwaltungsprozesse (digital und analog) nicht interoperabel mit externen Verfahren sind. Hier bedarf es einer grundsätzlichen Optimierung der Schnittstelle(n) zwischen den beteiligten Akteuren.

Eine zweite zentrale Hürde besteht in der Datennutzung. Eine Voraussetzung für viele Initiativen im Bereich Civic Tech sind offene Daten, die beispielsweise von der öffentlichen Hand erhoben und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Allerdings werden nicht alle Verwaltungsdaten maschinenlesbar als offene Daten veröffentlicht. Aus diesem Grund wurde zum Beispiel die Initiative kleineAnfragen, die die Anfragen und Antworten aus den Online-Dokumentationssystemen der Landtage in einem nutzendenfreundlichen Format zur Verfügung stellte, Ende 2019 abgeschaltet. Die Landtage hatten ihre Webseiten immer wieder umgestaltet, sodass Informationen nicht mehr automatisch ausgelesen werden konnten. Umgekehrt spielen auch Bedenken von Bürger:innen eine Rolle: Sorgen um Datenschutz und Datensicherheit können sich hemmend auf die Entwicklung konkreter Anwendungen sowie auf den thematischen Diskurs auswirken.

Warum eine Blogreihe zu Civic Tech?

Civic Tech-Initiativen sind wichtig, um die politische Teilhabe von Bürger:innen und damit eine demokratische Gesellschaft zu fördern. Gleichwohl gibt es Verbesserungspotenzial, beispielsweise bei der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung, aber auch beim breiteren Engagement von Bürger:innen sowie bei der Skalierung technischer Lösungsansätze unter Nutzung offener Daten und deren Integration in die Systeme der öffentlichen Verwaltung.

Aus diesem Grund wollen wir in dieser Blogreihe die wesentlichen Herausforderungen von Civic Tech adressieren und Antworten finden – vor allem auf die folgenden Fragen: Wie kann eine bessere Zusammenarbeit zwischen Civic Tech und der öffentlichen Verwaltung gelingen? Welche Hürden gibt es bei der Datennutzung? Dabei wollen wir verdeutlichen, welche Rolle die öffentliche Hand bei der Überwindung dieser Herausforderungen sowie der Förderung von Civic Tech spielen kann. In den folgenden Blogbeiträgen widmen wir uns unter anderem folgenden Themen:

  • Digitales Ehrenamt und Verwaltungsdigitalisierung in der Praxis – Erfahrungen und Ausblicke, Dr. Gerhard Habiger & Maria Aufheimer, bislang Verschwörhaus e.V.
  • Civic Tech und Open Data – wie passt das zusammen? Betül Özdemir, zentrale Verantwortliche für Open Data im Land Berlin
  • Wie die Verwaltung Civic Tech mit Open Data besser unterstützen – und dabei auch profitieren kann, Tori Boeck, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei CityLAB Berlin
  • Civic Tech: Langfristige Integration und kurzfristige Impulse, Dr. Andrea Hamm, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft

Ein Überblick über alle Beiträge dieser Reihe befindet sich hier: Blogreihe Civic Tech


Veröffentlicht: 24.05.2023