Wird die Vergabereform die Tür für mehr Open Source in der Verwaltung öffnen?
Wird die Vergabereform die Tür für mehr Open Source in der Verwaltung öffnen?
Gastbeitrag von Miriam Seyffarth
Miriam Seyffarth leitet die Politische Kommunikation bei der Open Source Business Alliance. Vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin der Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner und betreute in dieser Funktion diverse bundespolitische Digitalthemen.
Die Bundesregierung hat sich Großes vorgenommen: Laut Koalitionsvertrag will sie sowohl das Vergaberecht reformieren als auch den Einsatz von Open-Source-Software (OSS) in der öffentlichen Verwaltung zum Standard machen. Im Zuge der aktuell im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter der Überschrift »Vergabetransformationspaket« laufenden Vergabere-form könnten beide Aspekte zusammen geführt werden.
Das Vergabetransformationspaket
Im Koalitionsvertrag macht die Bundesregierung deutlich, wo sie mit dem Vergaberecht hin will: »Wir wollen die öffentlichen Vergabeverfahren vereinfachen, professionalisieren, digitalisieren und beschleunigen. Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechts-sicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen.« Sehr ambitioniert also.
Anfang 2023 hat die Bundesregierung mit einer Onlinekonsultation den Gesetzgebungsprozess für das Vergabetransformationspaket gestartet, um diese Ziele umzusetzen.
Ein besonderes Beteiligungsverfahren
Verbände und NGOs beschweren sich zu Recht, dass die Bundesregierung ihnen bei Verbändeanhö-rungen und Beteiligungsverfahren oft nur wenig Zeit gibt, um Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen abzugeben. Beim Vergabetransformationspaket ist es dieses Mal aber ganz anders gelaufen: Das BMWK hatte im Rahmen einer Onlinekonsultation breit zur Beteiligung aufgerufen –lange bevor überhaupt der erste Gesetzentwurf geschrieben war. Das Ministerium wollte so anhand eines Fragebogens schon im Vorfeld Anregungen und Input zu den fünf Themenfeldern einsammeln, mit denen sich die Vergabereform vornehmlich befassen soll:
- Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung
- Stärkung der sozial-nachhaltigen Beschaffung
- Digitalisierung des Beschaffungswesens
- Vereinfachung und Beschleunigung der Vergabeverfahren
- Förderung von Mittelstand, Start-Ups und Innovationen
Die Reaktion auf den Aufruf zur Beteiligung war überwältigend, insgesamt wurden über 450 Stellungnahmen beim BMWK eingereicht. Dabei meldeten sich unterschiedlichste Stakeholder zu Wort: Auf Auftraggeberseite beteiligten sich rund 100 Kommunen und Kommunalverbände sowie Bundesbehörden. Von Auftragnehmerseite gingen Vorschläge von Branchenverbänden, Mittel-standsunternehmen, Solo-Selbstständigen sowie Initiativen und Verbänden etwa zu Umwelt-, Sozial- oder Digitalisierungsthemen ein. Darüber hinaus positionierten sich im Rahmen der Beteili-gung auch Einzelpersonen und Vertreter:innen aus Wissenschaft und Anwaltschaft .
Im Juni 2023 führte das BMWK mit allen Interessierten zusätzlich vier Online-Gesprächsrunden durch, bei denen die Stakeholder mit Vertreter:innen des Ministeriums ihre Vorschläge vertiefend diskutieren konnten. Dabei gab das BMWK auch einen Überblick über die Positionen aus den eingegangenen Stellungnahmen.
Die Quadratur des Kreises
Sehr schnell wurde hierbei deutlich, dass in den eingereichten Stellungnahmen von den Stakeholdern einander zum Teil komplett widersprechende Positionen vertreten werden. Während einige Wirtschaftsverbände oder Kommunalvertretungen sich gegen neue Anforderungen und Auflagen im Bereich ökologische und sozial nachhaltige Beschaffung aussprechen und im Wesentlichen nur Entbürokratisierung und Verschlankung der Vergabeverfahren fordern, halten andere Initiativen das Vergaberecht für den entscheidenden Hebel, um dafür zu sorgen, dass die öffentliche Hand Steuergelder nur für wirklich nachhaltige Dienstleistungen und Produkte ausgibt.
Das Ministerium ist sich bewusst, dass es hier vor einer großen Herausforderung steht, wenn es mit der Vergabereform gleichzeitig Bürokratieabbau und Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung erreichen, aber auch die nachhaltige Beschaffung im Gesetz verankern will. Staatssekretär Sven Giegold machte im Juni 2023 deutlich, dass diese beiden übergeordneten Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen.
Nachhaltige Beschaffung im Fokus
Was die nachhaltige Beschaffung angeht steht jetzt also nicht mehr das »ob«, sondern nur noch das »wie« zur Debatte. Dr. Elga Bartsch, Leiterin des Grundsatzreferats im BMWK, sagte dazu bei der Beschaffungskonferenz Ende September 2023: »Es wird schon nachhaltig beschafft, aber noch deutlich zu wenig. Nur ca. 12 Prozent der Vergaben berücksichtigen Nachhaltigkeit. Die Nachhaltigkeit in der Vergabe muss verbindlicher werden. Eine reine Kann-Vorschrift reicht nicht mehr aus. [...] Die strategische Beschaffung trägt auch dazu bei, dass Märkte für nachhaltige Produkte entstehen.«
Das trifft genauso auch für OSS zu: Wenn die öffentliche Verwaltung Open-Source-Lösungen stärker nachfragt oder sogar zum Standard erhebt, werden Softwarehersteller ihre Angebote an diese Nachfrage anpassen. Die öffentliche Hand hat hier also durch ihre Nachfrage eine große Gestaltungsmacht und Verantwortung. Bisher wird von der Verwaltung zwar schon Open Source beschafft, aber noch nicht flächendeckend oder in großem Umfang. Es braucht also mehr Verbindlichkeit, denn OSS und offene Standards spielen für nachhaltige Beschaffung eine zentrale Rolle.
Die Chance für Open Source bei der Vergabereform
Der Einsatz von OSS garantiert die Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung über die genutzten digitalen Systeme und sichert somit die digitale Souveränität des Staates. OSS und offene Standards gewährleisten Interoperabilität und die Wechselfähigkeit zwischen verschiedenen Anbietern sowie eine schnellere und effizientere Verwaltungsdigitalisierung. Auch mit Blick auf Resilienz und IT-Sicherheit bietet OSS viele Vorteile vor proprietären Angeboten. Dem Prinzip »Public Money Public Code« folgend, sollte der Staat den Quellcode öffentlich finanzierter Software immer veröffentlichen, sodass er in der Folge von allen frei genutzt werden kann. Das befördert auch den Wettbewerb in der Privatwirtschaft und stärkt nachweislich Start-Ups und KMUs.
Wenn es um ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht, ermöglicht OSS unter anderem eine ressourcenschonende Hardwarenutzung sowie Softwareanpassungen für einen energieeffizienteren Betrieb. Als bisher einziges Softwareprodukt wurde die Open-Source-Software »KDE Okular« im Jahr 2022 mit dem Umweltsiegel »Blauer Engel« als ressourcen- und energieeffizienter Dokumentenbetrachter ausgezeichnet. Außerdem spart die beliebig häufige Wiederverwendung von einmal erstelltem Softwarecode Zeit, Geld und CO2.
Schon aus den genannten Gründen sollte OSS also im Rahmen der Vergabereform unbedingt berücksichtigt werden. Zudem hat die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag sowie in der Digitalstrategie zur Stärkung der digitalen Souveränität und zum vorrangigen Einsatz von OSS in der Verwaltung verpflichtet. Im Koalitionsvertrag heißt es: »Wir [sichern] die digitale Souveränität, u. a. durch das Recht auf Interoperabilität und Portabilität sowie das Setzen auf offene Standards, Open Source und europäische Ökosysteme. […] Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.« Das Vergabetransformationspaket ist genau das richtige Vehikel, um diese formulierten Ziele jetzt auch tatsächlich umzusetzen und in konkrete Gesetze zu gießen.
Als »Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität« (OSBA) haben wir daher auch eine Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsprozesses eingereicht und gefordert, dass die Vergabereform OSS in den Fokus nimmt. Neben uns haben auch Wikimedia sowie andere Initiativen und Einzelpersonen in ihren Stellungnahmen auf die Bedeutung von Open Source für die digitale Souveränität verwiesen und sich deutlich für eine gesetzliche Verankerung von Open Source in der Vergabereform ausgesprochen.
Ein juristisches Gutachten gibt Rückenwind für Open Source
Die Frage, wie das genau umgesetzt werden kann, beantwortet ein von der OSBA in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten, das wir im April 2023 veröffentlicht haben. Der Gutachter setzt sich intensiv mit dem Diskriminierungsverbot im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) auseinander und kommt zu dem Schluss, dass eine vorrangige Beschaffung von OSS im Rahmen der strategischen Beschaffung (§97 Abs. 3 GWB) nicht nur gesetzlich möglich, sondern sogar erforderlich ist, wenn die öffentliche Verwaltung die Stärkung der digitalen Souveränität sowie die Förderung von Innovation und Wettbewerb erreichen will.
In dem Gutachten werden verschiedene Regelungsmöglichkeiten aufgezeigt. Nach allen Abwägungen empfiehlt der Gutachter, den Vorrang für Open Source in der Vergabeverordnung für öffentliche Aufträge (VgV) und/oder im E-Government-Gesetz des Bundes zu regeln und macht auch gleich einen konkreten Formulierungsvorschlag hierfür. Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Thüringen oder Bayern haben diesen Vorrang für Open Source sogar bereits gesetzlich festgeschrieben. Auf Bundesebene fehlt eine solche gesetzliche Verankerung aber noch.
Wie geht es weiter?
Das BMWK hatte angekündigt, bis Ende 2023 einen Gesetzentwurf für das Vergabetransformationspaket vorzulegen. Jetzt bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form sich ein Vorschlag für den Vorrang für Open Source im Gesetzentwurf finden wird. In den Stakeholdergesprächen wurde von den Ministeriumsvertreter:innen zumindest in Aussicht gestellt, dass Open Source bei der Vergabereform berücksichtigt werden soll.
Dr. Markus Richter, der CIO des Bundes, machte bei einer Veranstaltung auf dem GovTech Campus am 2. Juni 2023 jedenfalls noch einmal den Anspruch der Bundesregierung deutlich: »Das Beschaffungswesen ist für uns – und das sieht man auch im Koalitionsvertrag – nicht irgendein Instrument, sondern es ist das entscheidende Instrument, wenn es darum geht, den Public Sector nachhaltiger und digitaler aufzustellen, und um wichtige Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, also den politischen Willen, den die Gesellschaft von uns zu Recht erwartet.«
In der Konsequenz müsste das heißen, dass bei der Vergabereform auch der Vorrang für Open Source – ein zentrales Ziel aus dem Koalitionsvertrag – umgesetzt wird. Wir bleiben gespannt und werden den Gesetzentwurf für das Vergabetransformationspaket mit Blick auf Open Source aufmerksam studieren, sobald er vorliegt – und bei Bedarf Änderungsvorschläge dazu machen.
Weiterführendes von ÖFIT:
Strategische Beschaffung in der IT-Konsolidierung
Je stärker die öffentliche Verwaltung Informationstechnik einsetzt, desto bedachter muss sie diese beschaffen. Mit der IT-Konsolidierung in der öffentlichen Verwaltung steigt zudem die Tragweite der einzelnen Beschaffungsentscheidung. Deshalb ist eine strategische IT-Beschaffung nötig. Strategische Beschaffung ist nachhaltig, ganzheitlich und umsichtig. Sie bedenkt die dauerhaften Auswirkungen heutiger Beschaffungsentscheidungen, nimmt verschiedene strategische Perspektiven ein und berücksichtigt Umweltfaktoren wie Marktlage und technische Entwicklung. In dieser Arbeit werden beispielhaft zehn wichtige strategische Perspektiven für die mögliche Ausrichtung einer ganzheitlichen Beschaffung anhand der Produktzahlfrage, ob in der Dienstekonsolidierung des Bundes pro Dienst auf ein oder zwei Softwarelösungen reduziert werden sollte, vorgestellt: von staatlicher Souveränität über Mittelstandsförderung bis zu Akzeptanzmanagement.
Public Money Public Code - Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur mit Freier Software
Freie Sofware bietet vielfältige Potenziale für die öffentliche Verwaltung, ist dort aber oft noch unverstanden. In dieser Broschüre klären Expert:innen die häufigsten Irrtümer über Freie Software auf, stellen zahlreiche Beispiele in der öffentlichen Verwaltung vor und beantworten Fragen zu Aspekten wie IT-Sicherheit, Wettbewerbspolitik oder Beschaffung. Die deutsche Übersetzung dieser Publikation der Free Software Foundation Europe wird vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT mitherausgegeben.
re|Staat digital – Der ÖFIT-Podcast: Ein Open-Source-Ökosystem für die öffentliche Verwaltung – Folge 21
Der Einsatz Freier und Open-Source-Software, kurz FOSS, in der öffentliche Verwaltung steht aktuell auf der politischen Agenda. Sie bringt Vorteile, jedoch auch einige Herausforderungen mit sich. Wie können beispielsweise etablierte Open-Source-Strukturen mit ihren spezifischen Rollen, die sich in der zivilen Szene etabliert haben, mit der öffentlichen Verwaltung verknüpft werden? Bei re|Staat Digital wollen wir heute anhand verwaltungsspezifischer Anwendungsszenarien darüber sprechen, wie die Verwaltung eigene Interessen in der Open-Source-Gemeinschaft vertreten müsste, eigene Projekte anstoßen könnte oder sich sogar als Inkubatorin für potentielle Startups etablieren kann.
Veröffentlicht: 22.11.2023