Asset-Herausgeber

»Better Rules«: Neuseelands Erfahrung mit digitalisierbarem Recht in der Corona-Krise

»Better Rules«: Neuseelands Erfahrung mit digitalisierbarem Recht in der Corona-Krise

von

James Fisk ist Mitarbeiter des neuseeländischen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation und Beschäftigung. Er rotiert als Teilnehmer des »GovTech Talent Digital Graduate Programme« in 24 Monaten durch drei Behörden.

Editor's Note: Das englischsprachige Original dieses Blogbeitrags wurde für das Observatory of Public Sector Innovation der OECD im Rahmen des »Rules as Code«-Projekts geschrieben. Wir haben ihn für unsere Blogreihe »Digitales Recht« ins Deutsche übersetzt, um maschinenverständliche Rechtsnormen zu illustrieren, wie wir sie in unserem Impulspapiers »Recht Digital« dargelegt haben.

Ein Überblick über die bisherigen Beiträge dieser Reihe:

  1. »Entlasten, nicht entmachten: Was der Gesetzgeber heute tun kann, um die Automatisierung der Öffentlichen Verwaltung zu unterstützen«
  2. »Modellieren statt programmieren: Low Code und die digitalisierte Körperschaftssteuer«

 

Bessere Regeln - bessere Ergebnisse

Die COVID-19-Pandemie hat uns und unsere Regierung vor viele Herausforderungen gestellt, von der Sicherheit der Bürger bis zur Unterstützung der Wirtschaft. Unser Team wollte dabei seinen Teil zur Bewältigung der Herausforderungen leisten. Wir sind das Team »Better for Business«, Teil des neuseeländischen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation und Beschäftigung. Unsere Arbeit am Projekt »Better Rules - Better Outcomes« hat der Regierung Neuseelands bei der Reaktion auf COVID-19 geholfen.

»Better Rules« ist eine Initiative, die die Art und Weise, wie die Regierung Gesetze, Vorschriften und Richtlinien entwickelt und umsetzt, neu denkt. Einfach ausgedrückt: Better Rules ist eine Methode zur Erstellung von Regeln als Computercode (englisch »Rules as Code« – RaC).

Als die Regierung von Neuseeland als Teil der Antwort auf die Corona-Krise ihr Lohnsubventionsprogramm zur Unterstützung von Unternehmen ankündigte, haben wir die Gelegenheit genutzt und mit der Arbeit begonnen. Wir erstellten ein digitales Tool für Unternehmen, mit dem diese prüfen können, ob sie für die Lohnsubvention in Frage kommen. Bei dem Lohnzuschuss handelt es sich – ähnlich dem deutschen Kurzarbeiter:innengeld - um ein zwölfwöchiges Unterstützungspaket für Arbeitgeber, damit diese ihre Mitarbeiter auch dann weiterbezahlen können, wenn sie aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten können. Es war für die Bewältigung der Corona-Krise entscheidend, dass die Regierung diese Maßnahme erfolgreich implementiert.

Wie die Methodik von »Better Rules« funktioniert

Der Ansatz von »Better Rules« ist eine Methodik, die »Rules as Code« produziert, indem sie einen komplexen Prozess wie die Lohnsubventionierung in folgende Elemente zerlegt:

  1. Begriffsmodelle
  2. Entscheidungsbäume
  3. Regeldeklarationen
  4. Regeln als Code

 

Die Methodik von »Better Rules« setzt auf Entwurfstechniken des menschenzentrierten Designs und auf multidisziplinäre Teams aus Geschäftsprozessanalyst:innen, Service-Designer:innen, Programmierer:innen, Policy-Fachleuten und Domänen-Expert:innen, die in einem gemeinsamen Raum arbeiten. Gemeinsam erstellt das Team verständlichere und leichter zugängliche Ausdrucksformen der Regeln, welche die Absichten des Regelwerks klarer machen.

Das Lohnsubventionsprogramm und »Better Rules«

Wir unterstützten die Maßnahmen der neuseeländischen Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise, indem wir ein digitales Entscheidungstool für Unternehmen schufen, mit dem diese ihren Anspruch auf den Lohnzuschuss überprüfen können. Das Tool reduziert die Komplexität, die den Benutzer:innen bei der Prüfung ihrer Anspruchsberechtigung begegnet.

Für das Tool standen uns zwei Tage und ein Team von fünf Personen, die die »Better Rules«-Methodik angewendet haben, zur Verfügung. Dies erforderte schnelle Iterationen und Anpassungen, war aber schlussendlich von Erfolg gekrönt. Zuvor hatten wir die »Better Rules«-Methode für Projekte mit längeren Design- oder Implementierungszeiträumen verwendet, wie zum Beispiel das SmartStart-Projekt. Der Online-Service »SmartStart« gibt werdenden Eltern und Betreuungspersonen einen Überblick über alle öffentlichen Familienleistungen und ermöglicht die individuelle Prüfung von Anspruchsberechtigungen.

Das nachstehende Beispiel zeigt das von uns entwickelte Tool, das bei der Beantragung von Lohnsubventionen hilft:

Abbildung 1: Tool zur Ermittlung des Anspruchs auf Lohnzuschüsse, Observatory of Public Sector Innovation, OECD

Wie wir den »Better Rules«-Ansatz für das Lohnzuschuss-Tool verwendet haben

Schritt 1: Erstellen des Begriffsmodells

Das Begriffsmodell legt die Bedeutungen von Kernbegriffen eines Anwendungsfeldes fest. Kernbegriffe beim neuseeländischen Lohnzuschuss wären etwa »Betrieb« oder »Einkommen«. Das Begriffsmodell definiert also die Struktur von Kernbegriffen und ein durchgehendes gemeinsames Vokabular für eine konsistente Kommunikation.

Wir analysierten die verfügbaren Informationen zum Lohnzuschuss und leiteten innerhalb weniger Stunden die Kernbegriffe ab (Abbildung 2). Die Kästchen enthalten die gängigen Begriffe im Bereich des Lohnzuschusses und die Linien sind mit Verben versehen, welche die Beziehung zwischen den Begriffen anzeigen. So wird auch deutlich, wo es komplizierter wird, etwa bei Beschäftigungsarten und Rechtsformen.

Abbildung 2: Begriffsmodell des Lohnzuschusses, Observatory of Public Sector Innovation, OECD

Schritt 2: Entscheidungsbäume

Ein Entscheidungsbaum identifiziert und analysiert Schlüsselfragen, die sich aus einem Begriffsmodell ergeben.

Zur Beantwortung der Schlüsselfragen verwenden wir den Q-COE-Ansatz, der auf den Business Rules Solutions, einem Ansatz zur Formalisierung von Regeln in der Privatwirtschaft, beruht. Dieser besteht aus:

  • Welche Frage (Q) wird gestellt?
  • Erwägungen (C)
  • Ergebnisse (O)
  • Ausnahmen (E), die zu beachten sind.

 

Im folgenden Beispiel haben wir einen Entscheidungsbaum ausgehend von der Frage »Hat ein Unternehmen Anspruch auf den Lohnzuschuss?« erstellt.

Der Entscheidungsbaum bildet die Grundlage für die Regeldeklarationen, die im dritten Schritt der »Better Rules«-Methodik erstellt werden.

Abbildung 3: Entscheidungsmodell des Lohnzuschusses, Observatory of Public Sector Innovation, OECD

Schritt 3: Regeldeklarationen

In den Regeldeklarationen wird die Logik der aus den Entscheidungsbäumen abgeleiteten Regeln detailliert beschrieben. Regeldeklarationen umfassen also eine Reihe von konkreten Anweisungen bzw. Handlungsrichtlinien. Sie verwenden die Antworten der im Entscheidungsbaum verwendeten Q-COEs und sind so formuliert, dass sie von allen Personengruppen, die in einem Anwendungsfeld arbeiten, verstanden werden.

Eine einfache Regeldeklaration im Lohnzuschussprogramm wäre: »Ein Unternehmen kommt für den Lohnzuschuss in Frage, wenn es einen Einnahmeverlust von 30% erlitten hat«.

Regeldeklarationen sind so strukturiert, dass sie in natürlichsprachlichen Worten ausgedrückt und in »Rules as Code« übersetzt werden können.

Schritt 4: Erstellung von »Rules as Code«

Wenn wir die vorherigen Schritte durchführen, können wir Regeln in Form von Code ausdrücken.

Die Software, die wir zur Erstellung der digitalen Anwendung verwendet haben, basierte auf dem SilverStripe CMS, einer offiziell zugelassenen Anwendung für Regierungs-Websites, die über eine »Rules Engine« verfügt. Dabei zeigte sich, dass alle vorherigen Schritte wichtig waren, um an dieser Stelle die korrekten Regeldeklarationen eingeben zu können.

Wenn es Änderungen an den Anspruchskriterien gibt oder wenn sich die Regeln ändern, können wir die vorherigen Schritte des »Better Rules«-Ansatzes nutzen, um diese Änderungen im Tool nachzuziehen.

Probieren sie das Lohnzuschuss-Tool ruhig selbst mal aus.

Was wir gelernt haben

Das haben wir aus der Arbeit während der Corona-Krise gelernt:

  • Wir können unseren Better-Rules-Ansatz flexibel einsetzen.
  • Der Ansatz stellt komplexe Regeln einfach dar.
  • Es ist wichtig, sich auf die genaue Gestaltung und Umsetzung der Regeln zu konzentrieren.

 

Wir haben festgestellt, dass wir unseren Ansatz flexibel nutzen können. Normalerweise werden wir von Anfang an einbezogen, wenn Gesetze geschrieben werden. Hier waren wir in der Lage, unseren Ansatz an eine andere Ausgangslage anzupassen und dennoch bei der Gestaltung und Umsetzung des Tools zu unterstützen. Wir stellten auch fest, dass der »Better Rules«-Ansatz auf andere Bereiche übertragen werden kann.

Wir haben uns auf die detaillierte Gestaltung und Umsetzung des Lohnzuschuss-Tools konzentriert. Das Tool legt den Schwerpunkt darauf, Unternehmen durch den Prozess zu führen. Wir mussten sicherstellen, dass die in das Tool eingehenden Angaben korrekt sind und keine zusätzliche Belastung für den Endbenutzer erzeugen.

Der »Better-Rules«-Ansatz hat gezeigt, wie wertvoll er für die Erstellung von »Rules as Code« sein kann, wenn man die oben genannten Schritte befolgt.

»Rules as Code« kann erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen, die Erbringung von öffentlichen Leistungen verbessern und Innovationen ermöglichen. Dies kommt nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch den Gesetzgebern zugute. Wir sollten die Entwicklung von »Better Rules« und »Rules as Code« fortsetzen und ähnliche Initiativen weltweit unterstützen.


Veröffentlicht: 12.02.2021