No-Government
No-Government
- Autorinnen / Autoren:
- Gabriele Goldacker
- Zuletzt bearbeitet:
- Aug 2016
- Titel:
- No-Government
- Trendthema Nummer:
- 39
- Herausgeber:
- Kompetenzzentrum Öffentliche IT
- Titel der Gesamtausgabe
- ÖFIT-Trendschau: Öffentliche Informationstechnologie in der digitalisierten Gesellschaft
- Erscheinungsort:
- Berlin
- Autorinnen und Autoren der Gesamtausgabe:
- Mike Weber, Stephan Gauch, Faruch Amini, Tristan Kaiser, Jens Tiemann, Carsten Schmoll, Lutz Henckel, Gabriele Goldacker, Petra Hoepner, Nadja Menz, Maximilian Schmidt, Michael Stemmer, Florian Weigand, Christian Welzel, Jonas Pattberg, Nicole Opiela, Florian Friederici, Jan Gottschick, Jan Dennis Gumz, Fabian Manzke, Rudolf Roth, Dorian Grosch, Maximilian Gahntz, Hannes Wünsche, Simon Sebastian Hunt, Fabian Kirstein, Dunja Nofal, Basanta Thapa, Hüseyin Ugur Sagkal, Dorian Wachsmann, Michael Rothe, Oliver Schmidt, Jens Fromm
- URL:
- https://www.oeffentliche-it.de/-/no-government
- ISBN:
- 978-3-9816025-2-4
- Lizenz:
- Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (CC BY 3.0 DE) http://creativecommons.org/licenses/by/3.0 de/legalcode. Bedingung für die Nutzung des Werkes ist die Angabe der Namen der Autoren und Herausgeber.
No-Government – keine Verwaltung, keine Regierung? Im Wortsinn wird dies ernsthaft nur ein Anarchist fordern. Andererseits: Wie oft fragen wir uns als Bürger, ob ein bestimmter Sachverhalt überhaupt einer Regelung bedarf und ob sich die Sache nicht ohne Regelung effizienter erledigen ließe? Und selbst wo wir Regelungsbedarf anerkennen: Wie oft empfinden wir die vorgeschriebenen Prozesse als zu überfrachtet und schwerfällig?
Keine Regeln, wenn es auch ohne geht
No-Government bezeichnet ein Ideal bürger- und unternehmensorientierten Regierens und Verwaltens: Nichts regeln, was nicht geregelt werden muss. Dieses Ideal nimmt als Richtschnur die Perspektive der Bürger ein: Niemand hat einen Bedarf an Regelungen oder Verwaltung an sich. Stattdessen muss es stets eine Begründung geben, warum Umsetzung und Ergebnis im konkreten Fall dem Gemeinwesen dienen. In der Konsequenz heißt dies: den gesamtgesellschaftlichen Aufwand für bestehende und geplante Regeln und Verwaltungsverfahren bestimmen und mit dem Nutzen vergleichen; bei überwiegendem Aufwand auf die Regeln verzichten oder Regeln und Verfahren so vereinfachen, dass im Ergebnis der Nutzen überwiegt. No-Government ist damit kein Synonym für das Politik-philosophische Prinzip des Nachtwächterstaates: Aufgaben und Zuständigkeiten des Staates werden nicht prinzipiell infrage gestellt, sondern die Art und Weise der Aufgabenerfüllung hinterfragt.
Neben der angestrebten Entlastung für Bürger und Unternehmen bietet No-Government auch Vorteile für die Verwaltung selbst: Sie kann sich auf erforderliche Aufgaben konzentrieren, wodurch sich Spielräume eröffnen, durch Kundenorientierung, Schnelligkeit, Effizienz und Nachvollziehbarkeit an Wertschätzung bei Bürgern und Unternehmen zu gewinnen. Im Umfeld von No-Government gibt es eine ganze Reihe von Konzepten, die häufig mit pointierten englischsprachigen Begriffen bezeichnet werden. „One in – One out" – manchmal sogar gesteigert als „One in – Two out" – bezeichnet das Prinzip, neue Regeln und Verfahren nur einzuführen, wenn gleichzeitig Regeln und Verfahren abgeschafft werden, die in etwa gleichen (bzw. höheren) Aufwand verursachen. Für diese Form des Bürokratieabbaus ist ein ressort- und ebenenübergreifendes und zugleich an konkreten Anliegen orientiertes Vorgehen erforderlich.
Begriffliche Verortung
Umstellung statt Abschaffung
Auf die zeitgemäße Optimierung verwaltungsinterner Abläufe zielt „Lean Government": die konsequente Anwendung erprobter moderner Arbeits- und Organisationsformen bei weitgehender Digitalisierung und Automatisierung. Nimmt man - ganz im Sinne einer Serviceorientierung der Verwaltung - die Perspektive der Verwaltungskunden ein, so spielen Konzepte wie „One-Stop-Shop", besser noch „No-Stop-Shop" eine große Rolle: Beim One-Stop-Shop können mehrere Anliegen, die sich aus derselben Lebenslage (z. B. Umzug oder Heirat) ergeben, gemeinsam erledigt werden. Zwangsläufige Anliegen stößt die Verwaltung beim No-Stop-Shop initiativ an und kommt nur auf die Verwaltungskunden zu, um gezielt zusätzlich erforderliche Daten, Dokumente und Ähnliches anzufordern (proaktives Verwaltungshandeln; siehe Verwaltung x.0). Ist das Ergebnis eines solchen Verfahrens ein sachgerechter Bescheid oder eine Leistung, stellt sich dies für den Bürger oder das Unternehmen als besonders aufwandsarm und damit als komfortabel dar. Bei elektronischem Verwaltungskontakt gehört zum One-Stop-Shop nicht nur ein gemeinsames, übergreifendes Verwaltungsportal, sondern auch „Single Sign-on": Eine einmalige, ausreichend starke Authentifizierung (in Abhängigkeit vom Vertrauensbedarf – beispielsweise mit dem elektronischen Personalausweis) genügt für alle Verwaltungskontakte einer Sitzung, unabhängig von der zuständigen Behörde.
Eine wesentliche Erleichterung für die Verwaltungskunden stellt auch das „Once-only"-Prinzip dar: Daten und Dokumente der Bürger und Unternehmen werden nur genau einmal – once only – in der Verwaltung produziert oder dort erfasst und bei Bedarf von anderen Behörden wiederverwendet, soweit dem keine Datenschutzinteressen der Betroffenen entgegenstehen. Hier gehen Serviceorientierung und Lean Government Hand in Hand. Das Once-only-Prinzip erleichtert zudem proaktives Handeln der Verwaltung. Als übergreifendes Prinzip sei noch „Digital-by-Default" erwähnt, das einerseits den standardmäßigen Austausch elektronischer Daten und Dokumente zwischen der Verwaltung und ihren Kunden vorsieht und andererseits eine weitestgehend Computer-basierte und damit medienbruchfreie Verarbeitung der Daten propagiert. Die positiven Wirkungen des Einsatzes der genannten Prinzipien können noch gesteigert werden, indem erzielte Einsparungen für eine zusätzliche Verbesserung beim Service und für Gemeinwohl-orientierte Aktivitäten und Investitionen eingesetzt werden. Diese beispielhafte Betrachtung zeigt, dass es eine Reihe realistischer Grundziele und Prinzipien gibt, die – konsequent angewandt – eine effiziente Verwaltung mit hoher Servicequalität ermöglichen und es daher wert sind, Berücksichtigung bei der Regelsetzung und Eingang in den Verwaltungsalltag zu erhalten. Von der Abschaffung der Verwaltung kann bei No-Government also keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: Es gibt viel zu tun.
Themenkonjunkturen
Folgenabschätzung
Möglichkeiten
- Geringerer Zeit- und Geldaufwand von Bürgern und Unternehmen bei Verwaltungsanliegen
- Schnellere Abwicklung von Verwaltungsverfahren
- Höhere Datenkorrektheit und -konsistenz durch Once-only und direkten, elektronischen Datenaustausch zwischen Behörden
- Imageverbesserung der öffentlichen Verwaltung
- Verbesserung der Servicequalität
Wagnisse
- Bürger können sich bei proaktivem Verwaltungshandeln bevormundet fühlen
- Nicht IT-affine Bürger und Unternehmen können sich durch das Digital-by-Default-Prinzip zurückgesetzt fühlen (siehe Digitale Gräben)
- Einführung neuer technischer Ansätze (siehe Microservices)
- Schlechte oder unabgestimmte elektronische Lösungen führen zu anhaltendem Akzeptanzverlust (siehe Usability)
Handlungsräume
Aufgabenkritik
Um das Ziel einer effizienten Interaktion zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürgern bzw. Unternehmen zu erreichen, müssen Politik und Verwaltung regelmäßig die Zweckmäßigkeit von Vorschriften, Verfahren und Prozessen überprüfen, anpassen und das Personal mit den Änderungen vertraut machen.
Technische Voraussetzungen schaffen
Dienstleister der öffentlichen Hand müssen, qualifiziert unterstützt und gesteuert durch die Verwaltung, für eine sachgerechte elektronische Unterstützung sorgen.
Akzeptanz der Bürger und Unternehmen fördern
Bürger und Unternehmen als Kunden müssen geeignet an diese modernisierten Verfahren herangeführt werden, damit sie beispielsweise bereitgestellte elektronische Schnittstellen tatsächlich nutzen.
Spielräume für aktives Gestalten schaffen
Wenn die öffentliche Verwaltung die Möglichkeiten von Digitalisierung und Automatisierung angemessen nutzt, kann sie sich mittelfristig finanzielle und personelle Spielräume für gestaltendes Wirken schaffen.