»Public Money, Public Code« – Digitale Souveränität der Verwaltung mit Freier Software
»Public Money, Public Code« – Digitale Souveränität der Verwaltung mit Freier Software
von Hüseyin Sagkal und Basanta Thapa
Wie kann der deutsche Staat digitale Souveränität erreichen? Dabei geht es von der Unabhängigkeit von einzelnen Softwareanbietern über Abhörsicherheit bis hin zu garantierten Zugriffsrechten auf staatliche Datenbestände, wie wir in unserem Digitalpolitischen Dossier zu digitaler Souveränität im Bundestag aufgezeigt haben.
Eine mögliche Antwort auf viele Fragen der digitalen Souveränität ist Freie Software, je nach zugrundeliegender Philosophie auch bekannt als Open Source Software (OSS). Freie Software zeichnet sich dadurch aus, dass jeder die Software frei verwenden, verstehen, verbessern und verbreiten darf. Damit grenzt sie sich von Closed Source Software (CSS) mit proprietären Lizenzen ab, bei der Quellcode weder verbreitet, untersucht, noch verändert und nur gegen Zahlung verwendet werden darf. Mit der »Public Money, Public Code«-Kampagne wurde die politische Forderung nach Freier Software im öffentlichen Sektor auch von zivilgesellschaftlicher Seite auf die Tagesordnung gehoben.
Anlässlich der Veröffentlichung der deutschsprachigen Broschüre »Public Money Public Code – Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur mit Freier Software« zusammen mit der Free Software Foundation Europe werfen wir einen kursorischen Blick auf die Debatte und Praxiserfahrungen mit Freier Software in der deutschen öffentlichen Verwaltung.
Geteilte Meinungen zu Freier Software in der Verwaltung
Zum Einsatz Freier Software im öffentlichen Sektor scheiden sich die Geister. Eine vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat beauftragte Marktanalyse urteilt, dass die digitale Souveränität der Bundesrepublik durch die Abhängigkeit von einzelnen kommerziellen Softwareanbietern gefährdet sei. Das Bundesinnenministerium hat in Folge die Stärkung der digitalen Souveränität priorisiert, wobei »der Einsatz von Open Source-Lösungen eine wesentliche Rolle spielen« werde.
Auch die Stadt Dortmund stellt im Rahmen ihres »Masterplans Digitales Dortmund« die Weichen für Freie Software in der Verwaltung. Ein Bericht der Dortmunder Bürgerinitative Do-FOSS bestätigt hier großes Potenzial.
Es gibt jedoch auch Gegenstimmen. Ein Gutachten der Stadt Heidelberg aus dem Jahr 2006 hegt deutliche Zweifel am Nutzen Freie Software für die Stadtverwaltung. Vielmehr solle einheitliche Software kommerzieller Anbieter zum Einsatz kommen. Ein Gutachten für die Stadt München aus dem Jahr 2016 empfahl den Ausstieg aus dem LiMux-Projekt, einem langjährigen Leuchtturm, bei dem in der Münchner Stadtverwaltung 15.000 Arbeitsplatzrechner mit freier Software betrieben wurden. Eine klare Haltung für OSS oder für CSS kristallisiert sich nicht heraus in der deutschen Verwaltungslandschaft.
Vor- und Nachteile Freier Software
Welche Argumente liegen den unterschiedlichen Einschätzungen zugrunde?
Ein Vorteil Freier Software ist die Mitwirkungsmöglichkeit einer breiten Community dank frei zugänglichem Quellcode. So kann ein Softwareprojekt schneller wachsen sowie Fehler und Sicherheitsmängel durch mehr Augen schneller erkannt und behoben werden. Diesen Pluspunkt sieht auch eine Studie im Auftrag der Stadt Leonberg. Auf Plattformen wie GitLab kann nachvollzogen werden, wann welcher Entwickler einen den Quellcode verändert hat, was unter diesen durchaus Qualitätsdruck und Wettbewerb erzeugt. Gleichzeitig gibt es ein enorm großes Innovationspotential, da Entwickler nicht an Firmenvorgaben gebunden sind, sondern ihre eigenen Ideen und Vorstellungen verwirklichen können, wie ein Artikel von t3n nahelegt. Zudem sei Freie Software resilient gegen Marktverwerfungen, da man im Gegensatz zu Closed Source Software gegen die Einstellungen von Produktlinien und die Pleite von Softwarehäusern gefeit sei. Auch die die Gefahr, dass die öffentliche Hand durch den Lock-in-Effekt mit überhöhten Preisen konfrontiert werde, sinke. Die Verwaltung könne auch in hohem Maße Lizenzgebühren sparen, da nicht die Installationen der Software, sondern lediglich laufende Kosten für Betrieb und Wartung sowie anlassbezogen Kosten für Anpassungen und Weiterentwicklungen anfielen. So hat das Auswärtige Amt bis 2007 insgesamt 11.000 Arbeitsplätze auf Linux migriert, wodurch sich die Kosten pro Arbeitsplatz halbierten. Das LiMux-Projekt der Stadt München habe diese Kosten immerhin um ein Viertel reduziert. In der Stadt Isernhagen habe der Umstieg auf Freie Software an den Arbeitsplätzen ebenfalls die Kosten halbiert.
Als Nachteil wird angeführt, dass der frei lesbare Quellcode Sicherheitslücken offenbaren könne, die ausgenutzt werden, ehe Entwickler:innen sie finden und beheben könnten. Auch die Einsparungspotenziale Freier Software werden angezweifelt und vielmehr die finanziellen Risiken betont: Denn die Pflege und Weiterentwicklung von eigenen, individualisierten Softwarelösungen verursache stets höhere Kosten als der Kauf bei Anbietern mit großen Skaleneffekten. Zudem seien bei Closed Source Software Support, Garantie und Schulungen zumeist beim Lizenzkauf mitinbegriffen. Dies sei bei Freier Software selten der Fall. Als besonders kritisch gilt die Komptabilität Freier Software mit kommerziellen Produkten: Gerade beim Zusammenspiel mit proprietärer Software könnten erhebliche Probleme auftreten, wie etwa die Stadtverwaltungen Freiburg und Mannheim berichten. Die beiden Städte bemängeln Systemabstürze, hohen Aufwand bei der Konvertierung von Dateiformaten beim Austausch von Dokumenten mit externen und internen Partner:innen, sowie Kompatibilitätsprobleme mit bestehenden Verwaltungsfachanwendungen.
Einmal Leuchtturm und zurück
Die Lage unter den deutschen Kommunen ist – soweit nachvollziehbar – durchwachsen.
Die Stadtverwaltung München hat im Jahr 2003 die bis dahin größte Open-Source-Transformation einer öffentlichen Verwaltung in Europa gestartet. Bis 2009 hatte die Stadt OpenOffice und Linux auf allen Computerarbeitsplätzen installiert. Im Jahr 2012 berichtete die Münchner Verwaltung Kosteneinsparungen um 25 Prozent im Vergleich zu einer Microsoft-Lösung und eine spürbare Senkung der Störmeldungen. Im Jahr 2017 vollführte München jedoch eine Kehrtwende und beschloss die vollständige Rückkehr zu einem Windows-Client. Ein begründendes Gutachten bemängelt, dass der Linux-Client hinter den Möglichkeiten von Windows bliebe und damit die Digitalisierung der Verwaltung verlangsame.
Die Vorteile Freier Software in der öffentlichen Verwaltung haben Städte wie Leipzig, Schwäbisch-Hall, Gummersbach, Isernhagen und Leonberg zum Umstieg zu Freier Software bewogen. Die Stadtverwaltungen Mannheim, Freiburg, Köln und München sind hingegen wieder zu proprietären Softwarelösungen zurückgekehrt. Übersichten zum Einsatz Freier Software in deutschen öffentlichen Verwaltungen finden sich auf Wikipedia und im OSSDirectory, wenn auch mit möglicherweise veralteten Informationen. Im Jahr 2019 gab es zudem eine Kleine Anfrage im Bundestag zur Nutzung von Open-Source-Software in der Verwaltung, welche die Bundesregierung zum Teil mit Auflistungen von Behörden und eingesetzen Softwarelösungen beantwortete.
Broschüre zu Freier Software für den Staat
Den Vorteilen Freier Software für die öffentliche Verwaltung stehen also noch viele Fragen, Unsicherheiten und Missverständnisse gegenüber. Um dem zu begegnen, hat die Free Software Foundation Europe eine Broschüre mit Fachbeiträgen erstellt, die nun mit dem Kompetenzzentrum Öffentliche IT auch auf Deutsch herausgeben wurde: Zur Broschüre »Public Money Public Code – Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur mit Freier Software«
Veröffentlicht: 21.04.2020