Von der Digitalisierung zur Automatisierung des Rechts – Wie kann die Transformation gelingen?
Von der Digitalisierung zur Automatisierung des Rechts – Wie kann die Transformation gelingen?
Mittwoch, 28. Februar 2024, 13:00 bis 17:30 Uhr
Henry-Ford-Bau der FU-Berlin (Garystraße 35, 14195 Berlin)
Verwaltungsverfahren in die digitale Welt zu holen, ist nicht immer ein leichtes Unterfangen, schon gar nicht, wenn es darum geht, sie gänzlich zu automatisieren. Gerade die Diskrepanz zwischen der schnellen technologischen Weiterentwicklung und der langsameren Anpassung des deutschen Rechts führt dazu, dass neue Technologien erst Jahre später Einzug in die Verwaltungsrealität halten. Zur Vorstellung unserer neuen Kooperations-Publikation mit der Freien Universität Berlin »Von der Digitalisierung zur Automatisierung des Verwaltungsverfahrens« haben wir mit Expert:innen aus Wissenschaft und Praxis über den digitalen Transformationsprozess der Verwaltung diskutiert.
Wie die Möglichkeiten der Digitalisierung diverser Verwaltungsverfahren aussehen können, wollten ÖFIT-Leiter Prof. Dr. Peter Parycek und Prof. Dr. Thorsten Siegel vom Lehrstuhl für öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht, der Freien Universität Berlin am 28.02.2024 mit Impulsgeber:innen und der interessierten Fachöffentlichkeit anlässlich der Publikationsvorstellung herausfinden. Dazu luden sie ca. 50 Teilnehmer:innen zu einer Tagung in den Henry-Ford-Bau auf den Campus der FU Berlin ein.
Die Tagung begann mit Paryceks Grußwort, in dem er verschiedene Herausforderungen bei der Digitalisierung der Verwaltungsverfahren ansprach und in den technischen Kontext setzte. Die Digitalisierung und KI können die Verwaltungsarbeit wesentlich erleichtern, so Parycek. Verwaltungshandlungen könnten durch digitale Register unterstützt werden, die die Rechtsdokumentation im Digitalen ermöglichen. Darauf folgt die Automatisierung des Rechts, die auf eine digitale Dokumentation der rechtlichen Tatbestände angewiesen ist. Mit der Registermodernisierung soll diese Grundlage nun auf eine neue vernetzte Ebene gehoben werden.
Weitere Voraussetzung sei aber auch, dass während der Rechtssetzung die Digitaltauglichkeit von Gesetzen mitgedacht werde, um sicherzustellen, dass sie auch beim Einsatz von Technologien oder dem Aufkommen von technischen Neuerungen anwendbar blieben. “Law as Code” sei aus seiner Sicht ein Weg, um die Automatisierung regelkonform und effizient zu gestalten. Zudem könnten bspw. Assistenzsysteme bei der Anwendung aktuellen Rechts unterstützen.
Menschliche Rechtsanwender:innen seien nicht gefeit vor Fehlern. Regelbasierte KI könne daher sogar ein Instrument für mehr Rechtssicherheit sein, führte Parycek weiter aus. Ein regelbasiertes System bräuchte darüber hinaus viel weniger Daten als bspw. eine auf maschinellem Lernen basierende KI. Der Vorteil dieser bestehe allerdings in der größeren Flexibilität, die insbesondere bei Ermessensentscheidungen von Nutzen sein könne. Nichtsdestotrotz könne die KI häufig nicht begründen, wie sie zu einem Ergebnis gekommen sei, da ihre Entscheidungen auf einer statistischen Voraussage beruhten.
Trotz verschiedener Vor- und Nachteile regelbasierter bzw. auf maschinellem Lernen basierender KI, wie bspw. die eingeschränkte Nachverfolgung von Entscheidungen, sieht Parycek in der KI die Dampfmaschine des Wissenszeitalters. Damit sie ein voller Erfolg werden könne, bräuchte es hohe Expertise, eine Diskussion um einen möglichen diskriminierenden Entscheidungsbias, den die KI in sich tragen könnte, und ein hohes Maß an Transparenz für das Zustandekommen der Entscheidungen sowohl in systemischer als auch ergebnistechnischer Hinsicht. So ließe sich das Potenzial gewinnbringend und gesellschaftlich akzeptiert implementieren.
Siegel betrachtete in seinem sich anschließenden Vortrag die Digitalisierung des Verwaltungsverfahrens aus rechtlicher Perspektive. Dabei ging er auf die verwaltungsrechtlichen Gesetzesgrundlagen und den verfassungsrechtlichen Rahmen ein, in dem es schon einige Entwicklungen gegeben hat und für den KI die jüngste Herausforderung darstellt. Naturgemäß hänge das Recht der technischen Entwicklung hinterher, da die rechtliche Einhegung grundsätzlich nur verzögert stattfinden könne.
Siegel beleuchtete dabei jeweils die Regelungsbedarfe für einfache Verwaltungsakte wie z. B. die Akteneinsicht und das Erfordernis der Zugangseröffnung, aber auch komplexere Verfahren wie das Zugänglichmachen auszulegender Dokumente und die Möglichkeit, im Verfahren Einwände zu erheben.
Vollautomatisierte Verwaltungsakte blieben bisher eine Seltenheit, so Siegel, was sich vor allem durch das Misstrauen des Gesetzgebers begründen ließe. Ein solches Verfahren könne nur über einen sogenannten Anwendungsbefehl im Fachrecht erfolgen und auch nur dann, wenn der Anwendungsfall frei von Beurteilungsspielräumen sei. Zu diskutieren sei eine Zulassung über das Verwaltungsverfahrensgesetz. So würde das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt und es könnten sich echte Spielräume für künstliche Intelligenz eröffnen.
Die Vortragsfolien finden Sie hier zum Download.
Prof. Dr. Annette Guckelberger von der Universität des Saarlandes vertiefte die Einsichten zu möglichen Formen der Digitalisierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Sie kam zu dem Ergebnis, dass nur äußerst langsame Fortschritte zu beobachten seien, obwohl der Gesetzgeber mit dem Recht ein Mittel zur Forcierung der Digitalisierung hätte. Dies läge vor allem daran, dass das Recht auf eine heterogene Akteurslandschaft mit unterschiedlichen Bedarfen und Ansprüchen an Digitalisierungsnormen treffen würde. Eine weitere Herausforderung sei, dass das Recht der Digitalisierung der Verwaltung eine große Bandbreite umfasse. Anschließend legte sie die Streitstände zu diversen einschlägigen Vorschriften der Digitalisierung von Verwaltungsverfahren dar. Zum Schluss betonte sie, dass neue Gesetze digitaltauglich und nutzendenzentriert gestaltet werden müssten, denn aktuell würden sich im Aushandlungsprozess vorrangig der spätere Nutzen und die Zielsetzungen der diversen politischen Entscheider:innen entgegenstehen.
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Auch Dr. Jakob Häußermann und Benedikt Liebig vom DigitalService setzten an ebenjener Digitaltauglichkeit an. Diese sei nicht gleichzusetzen mit der Digitalisierung des Rechts, sondern sei als eine Über- und Umsetzungsleistung zwischen den politischen Zielen bei der Erstellung einer rechtlichen Regelung und den Ansprüchen der Nutzer:innen zu verstehen. Voraussetzung für gute digitale Prozesse seien möglichst einfache, klare Regelungen, die die Bedarfe der Normadressaten und die Anforderungen des Vollzugs in den Mittelpunkt stellten und das angrenzende Recht berücksichtigten, führten die Impulsgeber weiter aus. Ihr Ansatz sei es, durch neue Methoden und Kompetenzen die Legist:innen u. a. dazu zu befähigen, über den juristischen Tellerrand hinausblicken zu dürfen und gemeinsam mit anderen Akteuer:innen Wege neu zu denken und Prozesse zu visualisieren.
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Ein Beispiel aus der wissenschaftlichen Praxis stellte Chiara Endres vom Forschungszentrum LMUDigiTax vor. Sie präsentierte dem Fachpublikum den Law as Code Ansatz und das dazugehörige Forschungsprojekt des Forschungszentrums an der LMU München. Dabei zeigte sie anhand von Beispielen, die im Rahmen des Forschungsprojekts aus zwei Hackathons hervorgegangen waren, auf, wie Regelungen aus dem Steuerrecht über natürlichsprachliche Modellierung übersetzt und anschließend in einen Algorithmus übertragen werden konnten und auf welche Herausforderungen die Teilnehmenden dabei stießen.
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Parham Kouloubandi vom Datalab des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stellte anschließend die aktuell laufenden Projekte GPT-4U und RAGZoo des Datenlabors vor und resümierte über sogenannte “Next World Problems”. Die entsprechenden Herausforderungen seien die mentalen und juristischen Veränderungen, die notwendig für den Einbau von KI in der Rechtssetzung und -anwendung seien. Zudem müsse die Qualität von KI messbarer werden und Nutzer:innen von KI müssten die KI-Ergebnisse regelmäßig kritisch einordnen und ggf. das Anwendungsfeld auf bestimmte Fälle aus ethischen Gründen auf bestimmte Fälle eingrenzen. Er empfahl darüber hinaus, immer das beste verfügbare Sprachmodell zu nehmen sowie keine weiteren Trainings oder Coding-Arbeiten an diesen vorzunehmen, da die Systeme dies nicht benötigen würden. Im Falle von RAGs würden die Sprachmodelle jedoch über sehr spezifisches Prompting auf eine bestimmte Datenbasis zugeschnitten, über die sie dann Auskunft geben sollten.
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Zum Abschluss der Impulse stellte Christian Metz von IBM einen konkreten Anwendungsfall von KI für die Justiz vor, bei dem Richter:innen in ihrer Arbeit unterstützt werden könnten. Für Fälle, die häufig nach dem gleichen Muster ablaufen und auf ähnlichen Daten basieren würden, biete die KI die Möglichkeit, die Dokumente für den oder die Richter:in aufzubereiten, sodass entscheidungsrelevante Parameter aus Schriftsätzen extrahiert und Kategorien zugeordnet werden könnten. Die Richter:innen könnten dann die konkreten Werte und ihre Fundstellen übersichtlich nachvollziehen und basierend darauf ihre Entscheidungen fällen.
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Zum Abschluss der Tagung ordneten Prof. Dr. Thorsten Siegel und Prof. Dr. Peter Parycek die Impulse im Lichte der Publikation im Gespräch mit Nicole Opiela nochmals ein und diskutierten verschiedene Aspekte der Digitalisierung und Automatisierung des Rechts.
Die Beiträge der Impulsgeber:innen sowie die Praxisbeispiele ermöglichten den Tagungsteilnehmer: innen anschauliche Einblicke in die aktuellen Möglichkeiten der Digitalisierung im rechtlichen Kontext. Gleichzeitig wurde deutlich, dass bis zu einer großflächigen Nutzung solcher Möglichkeiten noch ein langer Weg vor uns liegt. Wir freuen uns darauf, diese Entwicklungen langfristig mit unserer Forschung zu unterstützen, und danken an dieser Stelle noch einmal den Impulsgeber:innen und Tagungsteilnehmer:innen für Ihre Beiträge!
Publikation
Von der Digitalisierung zur Automatisierung des Verwaltungsverfahrens
Die digitale Transformation schreitet voran und inzwischen begegnen uns digitale Lösungen in allen Lebensbereichen. So scheint es nur logisch, dass diese Transformationsprozesse der Digitalisierung bis hin zur Automatisierung auch etablierte rechtliche Strukturen und Gesetze berühren und verändern. Neben der wichtigen Aufgabe einer materiellen Ausgestaltung eines gesetzlichen Rahmens steht jedoch auch die Rechtssetzung und -anwendung selbst vor Herausforderungen. Denn auch an diesen Bereich werden durch die technologischen Möglichkeiten neue Ansprüche gestellt. Die in Zusammenarbeit mit Prof. Thorsten Siegel von der Freien Universität Berlin entstandene Publikation widmet sich diesen Ansprüchen und Herausforderungen im Verwaltungskontext aus technischer und rechtlicher Perspektive.