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Digitaler Wandel: Zwischen inkrementellem und transformativem Fortschritt

Digitaler Wandel: Zwischen inkrementellem und transformativem Fortschritt

Gastbeitrag von und

Dr. Ines Mergel ist Professorin für Öffentliche Verwaltung und Digital Governance am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Konstanz. Sie untersucht, wie neue Arbeitspraktiken und Kompetenzen im Zusammenhang mit der digitalen Transformation des öffentlichen Sektors entwickelt werden.

Seit 2023 ist sie die erste ÖFIT-Fellow. Das ÖFIT-Fellowship dient dem Ideenaustausch und der Gestaltung von konkreten Beiträgen mit exzellenten Forscher:innen zur digitalen Transformation von Staatlichkeit.
Weitere Informationen unter: oeffentliche-it.de/jobs

Nathalie Haug hat einen Master-Abschluss in Politik und öffentlicher Verwaltung und ist derzeit Doktorandin im Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. Sie interessiert sich für Public Service Design, menschenzentriertes Design, Koproduktion von öffentlichen Dienstleistungen und die digitale Transformation des öffentlichen Dienstes.

Die mediale Diskussion um die vermeintliche Reduzierung des Budgets für Digitalisierung des Innenministeriums von 300 Millionen auf 3 Millionen für das Haushaltsjahr 2024 im Sommer 2023 zeigte, dass sich der Fokus der Digitalisierungsbemühungen vor allem auf den Input in Form von Finanzierung für Digitalisierungsvorhaben bezieht. Wichtig wäre jedoch auch festzustellen, mit welchen Mitteln welcher Output durch Verwaltungsdigitalisierung entsteht.

In einem neuen Artikel zeigen wir auf, dass digitale Transformation auch durch die kumulierten Fortschritte in Form von kleineren – inkrementellen - Veränderungen durch den engagierten Einsatz von Verwaltungsmitarbeiter:innen, Zusammenarbeit mit internen und externen Anspruchsgruppen und der Implementation kleinerer Digitalisierungsprojekte entstehen kann. Nur ein Drittel der 164 analysierten Studien beschäftigen sich mit Veränderungen, die weitreichende oder transformative Wirkungen haben. Das eröffnet Chancen, die digitale Transformation auch ohne gesicherte Millionenbudgets weiter voranzutreiben.

Welche Rolle spielen inkrementeller Wandel und disruptive Transformation?

In der Organisationstheorie kann es auf zwei Arten zu einem Wandel kommen: Zum einen durch disruptive Transformationsprogramme, die zum Ziel haben, die Struktur oder die Kultur einer Organisation zu verändern, und die auch das Umfeld der Organisation z.B. die Gesellschaft beeinflussen können (transformative Veränderungen). Zum anderen kann Wandel aber auch in inkrementellen Schritten geschehen, der sich auf kleine Teilbereiche oder einzelne Prozesse bezieht (inkrementelle Veränderungen). Genau dieser inkrementelle Wandel kann langfristig transformative Effekte auf andere Bereiche in der Organisation oder die Kultur der Organisation haben, wenn kontinuierlich inkrementelle Veränderungsprozesse angestoßen werden.

Um zu verstehen, wie die Digitalisierung diese Wandelprozesse beeinflusst, nutzen wir ein dreiteiliges theoretisches Rahmenwerk:

  1. Die externen und internen Triebkräfte für den digital angestoßenen Wandel.
  2. Der Umsetzungsprozess der Digitalisierung.
  3. Die Ergebnisse, die durch den technologischen Wandel erzielt werden.

Interne organisationale Antriebskräfte sind beispielsweise die Größe, Kapazität der Verwaltung oder Kompetenzen der Mitarbeiter:innen. Sie beeinflussen die Zusammenarbeit sowohl in der eigenen Organisation, z.B. durch verbesserte Informationsbereitstellung als auch die Kapazität mit externen Interessensgruppen zu kooperieren. Zu den externen Treibern, die im Umfeld der Verwaltung liegen, gehören veränderten rechtlichen Vorgaben, wirtschaftliche und technologische Bedingungen und die Erwartungen der Bürger:innen an die Verwaltung.

Abbildung 1: Digital angestoßener Wandel im öffentlichen Sektor: Ein theoretisches Rahmenwerk (Grafik: Haug/Dan/Mergel)

Bei der Umsetzung von digitalem Wandel ist die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Anspruchsgruppen wichtig. Diese können sich sowohl innerhalb als auch außerhalb der Verwaltung befinden. Anspruchsgruppen innerhalb der Verwaltung sind z.B. Mitarbeiter:innen aus anderen Abteilungen oder anderen Behörden oder auch verbundene Prozessketten, die im Ganzen betrachtet werden sollten. Zu den Anspruchsgruppen außerhalb der Verwaltung gehören beispielsweise Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft oder in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Sie stellen hauptsächlich Ressourcen wie Software oder technische Expertise zu Verfügung, um Softwarelösungen bestmöglich umzusetzen. Zu den weiteren wichtigen externen Anspruchsgruppen gehören die Endnutzer:innen, wie Bürger:innen oder Unternehmen, deren Bedürfnisse und Erfahrungen eine wichtige Informationsquelle für die Umsetzung der digitalen Transformation der Verwaltung sein sollten.

In der Organisation führen inkrementeller und transformativer Wandel zu ähnlichen Ergebnissen. Darüber hinaus führt transformativer Wandel auch zu Veränderungen auf der gesellschaftlichen Ebene. Inkrementeller Wandel verändert Prozesse innerhalb der Organisation beispielsweise durch Automatisierungen einzelner Teilprozesse wie z.B. die Einführung digitaler Aktenführung. Zudem führt die Erstellung von Websites oder Dienstleistungs- bzw. Beteiligungsplattformen sowie die Nutzung von sozialen Medien zu einer verbesserten Informationsbereitstellung und der Veränderung der Beziehung zu Bürger:innen.

Transformativer Wandel führt ebenfalls zu einer verbesserten Leistungserbringung sowie internen Prozessdigitalisierung und ist meistens keine direkte Folge der konkreten Technologieimplementierung. Stattdessen kumulieren sich die Effekte von inkrementellem Wandel, bis nach und nach Ergebnisse auf gesellschaftlicher Ebene ersichtlich sind. Das sind beispielsweise erhöhte Transparenz von Regierungshandeln, verringerte Korruption oder Stärkung von Demokratie durch vereinfachte Bürgerbeteiligung.

Implikationen für die Verwaltungspraxis

Die bisherige Forschung der digitalen Transformation der Verwaltung hat gezeigt, dass die Implementation von digitalen Technologien direkt zur digitalen Transformation der Verwaltung führt. In der hier vorgestellten Zusammenfassung der bisherigen Forschung zeigen wir einen detaillierteren Mechanismus auf: Digitale Transformation entsteht aus vielen kleinen Wandelimpulsen, die zu transformativen Effekten skalieren. Aus dieser Schlussfolgerung können zwei Implikationen für die Verwaltungspraxis abgeleitet werden.

  • Einsatz von Technologien: Die bisherige Forschung zeigt, dass die Verwaltung hauptsächlich mit gängigen Kommunikationstechnologien arbeitet und Software zur Automatisierung und Standardisierung von Prozessen einsetzt. Komplexe Technologien wie Blockchain oder AI kommen stattdessen seltener zum Einsatz. Das weist darauf hin, dass die digitale Transformation auf schon bestehenden Prozessen und vorhandenen Technologien aufbauen kann, um finanzielle Bürden zu verringern.
  • Aktives Beziehungsmanagement: Die digitale Transformation kann dafür sorgen, dass die Beziehung zu Bürger:innen und anderen externen Anspruchsgruppen gestärkt wird. Die Zusammenarbeit mit externen Akteur:innen sollte keine freiwillige Zusatzaufgabe sein, sondern zentraler Bestandteil sowohl inkrementeller als auch transformativen Wandels. Das bedeutet für die Verwaltungseinheiten auf Bundesebene, dass neben den Interessen der Bürger:innen vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen, digitale Ehrenamtliche sowie Interessensgruppen Teil der Digitalisierungsprozesse sein sollten und Führungskräfte einen großen Anteil daran tragen, die Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten.

Der Artikel ist im Fachmagazin Public Management Review in englischer Sprache erschienen und im Open-Access-Format zugänglich. Der Artikel kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

Digitally-induced change in the public sector: a systematic review and research agenda

Nathalie Haug, Sorin Dan & Ines Mergel (2023): Digitally-induced change in the public sector: a systematic review and research agenda, Public Management Review, DOI: 10.1080/14719037.2023.2234917

Weiterführendes von ÖFIT:

Erfolgreiche Innovationsfellowships in der Verwaltung umsetzen

Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung hin zu agilen und nutzerzentrierten Arbeitsweisen kann u.a. durch die Teilnahme an Innovationsfellowships erreicht werden. Diese Veröffentlichung beschreibt wie Innovationsfellowships erfolgreich umgesetzt werden können. Dazu werden zehn Handlungsempfehlungen beschrieben, die Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung dabei unterstützen. Für die Planung der Innovationsfellowships ist es wichtig, die benötigten Ressourcen frühzeitig bereitzustellen, Unterstützung von den Leitungsebenen sicherzustellen und die technische Infrastruktur der Behörde zu berücksichtigen. Bei der Durchführung der Fellowships kommt es darauf an, Möglichkeiten für einen Kompetenztransfer zu schaffen und das Rollenverständnis der Beteiligten früh zu klären.

Innovationspolitische Bausteine für den digitalen Staat

Der Staat wird in die Verantwortung genommen für die Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit. Gleichzeitig ist der Fokus der Innovationspolitik auf Wirtschaft und Wissenschaft ausgerichtet. Der Impuls beschäftigt sich mit der zentralen These, dass ein moderner digitaler Staat eine dezidierte Innovationspolitik braucht. Schlaglichtartig werden dazu verschiedene Themenkomplexe beleuchtet, die wesentlich für die Innovationskapazitäten des Staates sind: Neue Formen digitaler Beteiligung, Daten(-kompetenz), moderne Technologien wie KI und all das in einem Umfeld, das fruchtbare neue Innovationsökosysteme begünstigt.

Wegbereiter: Innovation im Check

Mit »Innovation im Check« starten wir die neue Serie ÖFIT-Wegbereiter: ÖFIT stellt mit den Wegbereitern kollaborative Lern- und Arbeitsinstrumente zur Verfügung, um den Wissenstransfer in die Verwaltungspraxis zu fördern. Der ÖFIT-Wegbereiter »Innovation im Check« unterstützt mit drei Checklisten die öffentliche Verwaltung dabei, Wissen und Arbeitsweisen aus Innovationsprojekten nachhaltig in der Organisation zu verankern.


Veröffentlicht: 21.02.2024