Verwaltungskultur im digitalen Staat: Veränderungslogik der öffentlichen Verwaltung verstehen und gestalten
Verwaltungskultur im digitalen Staat: Veränderungslogik der öffentlichen Verwaltung verstehen und gestalten
Digitalpolitisches Dossier #4
10.06.2021, 18:30 - 20 Uhr
Onlineveranstaltung
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Beim online durchgeführten vierten Digitalpolitischen Dossier standen am 10.06.2021 die Verwaltungskultur und notwendige Innovationen im Fokus. Ziel der Veranstaltung war es, Wege aufzuzeigen, wie Politik und Verwaltung Innovationen vorantreiben und Veränderungskompetenzen in der Verwaltung stärken können.
»Verwaltungskultur im digitalen Staat: Veränderungslogik der öffentlichen Verwaltung verstehen und gestalten« war das Thema des vierten Digitalpolitischen Dossier. Schirmherr der Veranstaltung war dieses Mal Manuel Höferlin (FDP), MdB und Vorsitzender des Ausschusses Digitale Agenda des Deutschen Bundestages. Nach den Eingangsstatements von Manuel Höferlin und ÖFIT-Leiter Prof. Dr. Peter Parycek folgten zwei Impulsvorträge. Die theoretische Perspektive brachte Prof. Dr. Ines Mergel von der Universität Konstanz ein, während Christina Lang, Geschäftsführerin von DigitalService4Germany, Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis teilte.
Zur Begrüßung sensibilisierte ÖFIT-Leiter Peter Parycek für die schon jahrhundertlange Tradition der Verwaltung. Beständige Hierarchien und rechtssichere Prozesse hätten in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass die Verwaltung bedeutende gesellschaftliche Veränderungsprozesse ohne größere Anpassungen überdauert habe. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation und anderer großer gesellschaftlicher Umbrüche stelle man sich in der Verwaltung nun aber immer häufiger die Frage, wie man sich in Zukunft aufstellen müsse und welche personellen, strukturellen und prozessualen Veränderungen angestrebt werden müssten. Dieses Digitalpolitische Dossier wolle einen Beitrag zu der Debatte leisten, wie diese notwendigen Veränderungen vorangetrieben werden können, und beziehe dabei unterschiedliche Perspektiven ein.
Manuel Höferlin (FDP), betonte in seinem Eingangsstatement, Prozesse im Digitalen seien komplett neu zu denken – eine Überführung analoger Prozesse ins Digitale sei hingegen nicht zielführend.
Das Brennglas der Corona-Pandemie habe schmerzlich bewusst gemacht, dass noch einige Etappenziele auf dem Weg zur volldigitalisierten Verwaltung erreicht werden müssten. Die Probleme seien vielseitig: Von geeigneten Rahmenbedingungen für die digitale Infrastruktur über eine nach wie vor noch zu häufig intransparente Technikgestaltung bis hin zur fehlenden Harmonisierung der Systeme im föderalen Kontext gebe es noch vieles zu lösen. Zwar müsse nicht jede Behörde die gleichen Systeme nutzen, allerdings sollten alle Systeme schnittstellenfreundlich konzipiert werden. Zudem müssten Daten der Öffentlichkeit häufiger bereitgestellt und einfach übernommen werden können.
Damit die digitale Transformation gelingen könne und man das Ziel des OZG mit seinen 575 zu digitalisierenden Leistungen erreiche, müssten der Verwaltung auf Bundes-, Landes - und Kommunalebene die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um einer langsam entstehenden Digitalisierungsmentalität Raum zu geben. Zum Schluss seines Impulses gab Höferlin den positiven Ausblick, dass die konsequente Nutzung von Automatisierungspotenzialen und anderen Veränderungen durch die Digitalisierung es ermöglichen könne, dass Mitarbeiter:innen in der Verwaltung wieder intensiveren und persönlicheren Kontakt zu Bürger:innen und Unternehmen pflegen könnten.
Ines Mergel betonte zu Beginn ihres Vortrags »Wie ist kultureller Wandel in der Verwaltung möglich?«, sie sei im Rahmen ihrer zahlreichen Interviews mit unterschiedlichen Vertreter:innen der öffentlichen Verwaltung sehr häufig auf das Mantra »Wir haben das immer schon so gemacht« gestoßen. Dieses gelte es zu überwinden, um eine Verwaltungskultur zu schaffen, die Innovation befeuere und das Personal motiviere.
Aus ihren Forschungsarbeiten leitet Mergel vier idealtypische Phasen ab, die während der digitalen Transformation durchlaufen würden:
- Erwachen: Bedarfe müssen entdeckt und Visionen entwickelt werden
- Mobilisierung: Möglichkeiten der Umsetzung vergleichen und politischen Support in der Führungsebene einholen
- Beschleunigung: Routinen schaffen und die Mitarbeiter:innnen mit neuen Kompetenzen befähigen
- Institutionalisierung: neue Strukturen entwickeln und an die neuen digitalen Begebenheiten anpassen
Eine Schlüsselkompetenz, um diese vier Phasen erfolgreich zu durchlaufen, sei die Fähigkeit zum organisationalen Lernen. Es gelte, agiler und unkomplizierter neue Ansätze zu übernehmen und weiterzuentwickeln, die an anderer Stelle bereits zum Erfolg geführt hätten.
Damit dies gelingen könne, sei aber auch ein neuer Führungsstil ohne Null-Fehler-Kultur und lange Abstimmungsketten notwendig. Nur so könnten zügig und kreativ neue Lösungen entwickelt werden. Die Neuausrichtung müsse sich zudem in der Personalpolitik widerspiegeln: Zusätzlich zum juristischen Sachverstand sei es zentral, andere Expertise einzubinden und sich durch gezielte Personaleinstellungen eine digitale Mentalität und Haltung ins Haus zu holen. In agilen Teams könnten so neue Wertvorstellungen zur Verwaltungsarbeit entstehen und in den Institutionen verinnerlicht werden. Unausweichlich sei dabei, das sogenannte »Upskilling« der Verwaltungsmitarbeiter:innen, sie also hinsichtlich digitaler Kompetenzen zusätzlich zu qualifizieren. Entscheidend nach den zahlreichen Bottom-up-Initiativen sei nun die Rückendeckung aus der Leitungsebene in Verwaltung und Politik durch zielgerichtete Top-down-Maßnahmen.
Christina Lang, zeigte in ihrem Impulsvortrag Möglichkeiten auf, den Paradigmenwechsel in der Verwaltung zu unterstützen. Die überfachliche Qualifikation des Personals voranzutreiben sei ein entscheidender Faktor, um tatsächlich alle Beschäftigten in die neue Arbeitswelt mitzunehmen. Dafür müsse sich die öffentliche Verwaltung als attraktiver Arbeitgeber positionieren, um die »klügsten Köpfe der Gesellschaft« von sich zu überzeugen. Mit ihnen lasse sich der notwendige Wandel vorantreiben.
Mit den Fellowship-Programmen, die DigitalServices4Germany bereits anbietet, ließen sich unterschiedlichste Perspektiven zusammenbringen, wovon alle Seiten profitieren würden. So ließen sich organisationale Hürden erkennen und durch den Erfahrungsaustausch leichter überwinden. Sie erlebe, dass sich auch die Verwaltungsmitarbeiter:innen über alle Ebenen hinweg Veränderungen wünschen würden. Sie seien bereit, sich auszutauschen, neue Projekte zu starten und Erfahrungen zu teilen.
Sie betonte, dass der Raum da sein müsse, auch mal neue Wege auszuprobieren, die nicht zu 100% abgestimmt seien. Iterative Prozesse, die gut begleitet und erklärt würden, könnten so die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung in staatliches Handeln steigern. Entscheidend dabei sei, Fehler transparent zu kommunizieren. Auf diese Weise würde der Staat als bürgerfreundlicher und nahbarer wahrgenommen werden.
Klar sei aber auch, dass die Digitalisierung für die Verwaltung nach wie vor ein enormer Kraftakt sei. Ein Wandel sei kaum leistbar, wenn Vollzeitkräfte nur ca. 10% ihrer Arbeitskraft in neue Projekte investieren dürften. Hier sei die enge personelle Bemessung oftmals hinderlich und eine strategische Ressourcenallokation entscheidend.
Daher seien in erster Linie die Führungsebenen gefragt: Organisationsentwicklung und Veränderungsmanagement müssten höher priorisiert werden, denn nur mit intrinsischem Willen könne Verwaltungsdigitalisierung gelingen. Den digitalen Wandel so vorzubereiten, dass die gesamte Verwaltung diesen mitträgt und gestaltet, sei nur mithilfe von Anreizen aus der Führungsebene zu leisten.
Für eine gelungene digitale Transformation der Gesellschaft identifizierte Christina Lang drei wesentliche Punkte.
- Ressourcenallokation: Personal, das befähigt ist, an Großprojekten der Digitalisierung mitzuarbeiten, müsse für diese freigestellt werden.
- Hürden identifizieren und beseitigen: Digitalisierungsprojekte sollten durch die analogen Verwaltungsabläufe nicht ausgebremst oder sogar zum Erliegen gebracht werden. Dafür braucht es eindeutige und zentral Zuständigkeiten und somit einen stärkeren Fokus auf die Organisationsentwicklung.
- Verantwortung in der Führungsebene wahrnehmen: Die politische und verbeamtete Führungsebene müsste Organisationsentwicklung und Veränderungsmanagement priorisieren. Nur wenn die Führungsebene klare Ziele formuliert und dann auch ambitioniert verfolgt, übertrage sich dieser Eifer in alle Ebenen der Verwaltung. Dies sei notwendig, da die Verwaltung sich nur aus sich selbst heraus transformieren könnte.
Diskussion
Die Referent:innen waren sich in der anschließenden Diskussion in einem Aspekt besonders einig: Man habe nichts gewonnen, wenn man die bestehenden analogen Prozesse ungeprüft ins Digitale übertrage. Es sei entscheidend zu hinterfragen, welche Bestandteile automatisiert werden könnten, welche Prozessschritte ganz wegfallen könnten und wie sich der neue Prozess nutzerfreundlich gestalten lasse, sodass Bürger:innen und Mitarbeiter:innen gleichermaßen davon profitieren könnten.
Manuel Höferlin vertrat die Ansicht, die Rolle der Politik sei es, lediglich einige Rahmenbedingungen und Standards für den Digitalen Wandel der Verwaltung zu formulieren, um somit den Expert:innen in der Verwaltung die Chance zu geben, sich mit den spezifischen Anforderungen direkt vor Ort auseinanderzusetzen und Umsetzungsschritte darauf basierend passgenau anzugehen.
Ines Mergel berichtete, aus ihren Forschungsergebnissen gehe deutlich hervor, dass die individuelle Weiterbildung von Mitarbeiter:innen zwar gelinge, die notwendigen strukturellen Veränderungen im System aber häufig ausblieben. Häufig fehle den Verwaltungsmitarbeiter:innen die Zeit- und Energieressourcen, um diese institutionellen Veränderungen auch noch voranzutreiben. Dies wiederum hinterlasse nicht selten Demotivation und Frustration bei den Mitarbeiter:innen, die gerne etwas in ihren Behörden bewegen würden.
Dem schloss sich Peter Parycek an und betonte dabei, dass es in der Führungsebene als auch in der Politik ein stärkeres digitales Bewusstsein brauche.
In diesem Zusammenhang wurden auch die demografischen Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung diskutiert. Die große bevorstehende Ruhestandswelle berge Chancen und Risiken. Christina Lang verwies darauf, dass die große Lücke durchaus ein Risiko sei, wenn nicht genügend geeignetes Personal rekrutiert werden könne. Allerdings könne Automatisierung einen Beitrag dazu leisten, die Verwaltung insgesamt von Routineaufgaben zu entlasten. Zudem könne es auch eine große Chance für den Wandel sein, wenn der öffentliche Sektor es schaffe, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und so ein diverses Personal zu rekrutieren, welches für die Bewältigung der digitalen Transformation benötigt werde.
Ines Mergel mahnte vor allem den drohenden Wissensverlust durch den bevorstehenden Ruhestand der altgedienten Mitarbeiter:innen an. Deshalb sei es wichtig, neues Personal sowohl in den »alten« als auch in den »neueren« Bereichen der Verwaltungsarbeit auszubilden. Darüber hinaus sei es zentral, dem bestehenden Personal neue Arbeitstechniken und Kompetenzen zu vermitteln, die ihre damalige Ausbildung nicht beinhaltete. Komme dazu ein Führungspersonal, welches die Innovationsideen aus der Belegschaft unterstütze und nicht verhindere, könne man den demografischen Wandel durchaus als Chance betrachten.
Abschließend formulierte die Runde notwendige Maßnahmen, um von einem »analogen« Betriebssystem der Verwaltung zu einem digitalen zu gelangen. Anpassungen des Dienstrechts und des Führungsverständnisses seien ebenso wichtig wie das Upskilling der Mitarbeiter:innen, das Schaffen von Visionen und der Wille, die Verwaltungskultur zu ändern.
Weiterführende Informationen:
Digitalpolitisches Dossier #1:
Vom Gesetz zum Vollzug - und wieder zurück
Digitalpolitisches Dossier #2:
Digitale Souveränität – Was brauchen wir zur staatlichen Selbstbestimmung im Digitalen?
Digitalpolitisches Dossier #3:
Logik der Daten verstehen: Grundlagen progressiver Datenstrategien